Ich habe mal meine älteren drts-Texte durchgeguckt und nach aktuell verwendbarem Material gesucht. Irgendwie fiel mir da dieser Text zur deutschen Berichterstattung im Vorfeld des Simpsons-Kinofilms auf. Der ist nun sicher nicht mehr aktuell (zum Zeitpunkt des Schreibens kannte ich den Film selbst noch nicht) aber er wirft vielleicht ein bezeichnendes Licht auf die Art von jubelndem Schreiben, schlechter Recherche und geringen Ansprüchen, die medial ja auch die S1x-Staffeln immer wieder in ein positives Licht rückt. Somit kann man ihn auch als generelle Denk- bzw. Diskussionsanregung zum Stil von Simpsons-Texten in deutschen Zeitschriften betrachten.
Hier also mein Text vom Juli 2007:
Nun habe ich auch die aktuelle Ausgabe der "Cinema" mit dem bereits in der letzten Vorschau angekündigten Jubel-Artikel zum Simpsons-Kinofilm da. Und der Artikel erfüllt meine Erwartungen in der Tat wohl in allen Bereichen - quasi ein deutscher Artikel zum Thema Simpsons wie aus dem Lehrbuch. Wobei man von einem "Kino-Fachmagazin" irgendwie bessere Recherchen oder Einblicke in die Komplexität der Serienvorlage erwartet hätte. Der Artikel sagt für Kenner der Serie überhaupt nichts Neues, für Nichtkenner bietet er dagegen ein verqueres Bild - dieses jedoch zumindest mit vielen bunt-gelben Hochglanzbildern.
Die innovativen Überschriften zum Artikel:
Artikelüberschrift 1: "Das gelbe Chaos"
Artikelüberschrift 2: "Schrill, wild und völlig gaga"
Überschrift im Text: "Reaktionär, anarchisch und blöd - das ist die Welt der Simpsons"
Das ist durchaus der Geist, den der Artikel dann wiedergibt. Allein jene "Qualitäten" bewirken doch schon, daß man über diese Serie sagen kann (Zitat) "Kinderkram sieht anders aus..." Ansonsten jede Menge positiver Versprechen zum Film (subversiv und originell und ein Spiegel unseres Zeitgeistes) - wobei das Letzere ja durchaus zutreffen könnte, allerdings in anderer Weise, als der Schreiber des Artikels wohl meint. Nach all den Qualitätsversprechen im Artikel fällt es dann doch kaum ins Gewicht, daß am Schluß erwähnt wird, daß der Film vor Redaktionsschluß noch nicht zu sehen war ;-).
Neben einer kurzen Filmzusammenfassung der so genialen Story gibt es auch noch eine Erklärung der wichtigsten Charaktere aus Springfield. Die ist ja nun nicht prinzipiell falsch, aber äußerst negativ gehalten und in ihrer Oberflächlichkeit doch eher auf "Webseite mit Wolkenhintergrund"-Niveau. Beispiele: Rod und Todd sind "...brave, erzreaktionäre Bibelleser - und offenbar heimlich schwul." Ralph ist "...der arme Prügelknabe der Schule [...] der regelmäßig von Bart malträtiert wird." Maggie fällt durchschnittlich 9-mal pro Folge auf die Schnauze. Kewl.
Nett ist auch die Spalte über Gaststars - diese ist sehr S1x-lastig, zählt 2-Satz-Kandidaten wie Stephen King und Joanna K. Rowling auf, außerdem sogar Steven Spielberg, den ich nun wohl gar keiner Folge zuordnen kann. Als Gaststars, die sich nicht selbst sprachen, wird übrigens Tony Blair erwähnt - arg seltsam, der Werberummel um seine Sprecherrolle sagte damals etwas anderes.
Die (Zitat) "spektakulärsten Auftritte" aller Gäste hatten aber wohl Leute wie Kim Basinger, Alec Baldwin und Mark Hamill. Wirklich gute bzw. herausragende Leistungen von klassischen Gästen wie Dustin Hoffmann, Glenn Close oder Kelsey Grammer bleiben natürlich unerwähnt. Scheinbar ist es kewler, wenn Gaststars den Huumer-Sidekick in S1x-Gaghaufen geben. Was natürlich auch nicht fehlen darf, ist der Kauf-Hinweis auf div. Schnickschnackscheiben auf dem Markt, mit dem Vermerk, daß die Folgen früher noch "deutlich braver" waren (auf Staffel 1 bezogen), während man im Set zu Staffel 9 viele "Top-Folgen" erhält. Man könnte ja nun argumentieren, warum IMO gerade die frühen Folgen (S2) unter der Oberfläche oftmals weitaus komplexer und hinterfragender waren, als die Top-Sitcoms aus S9, aber lassen wir das im Moment mal.
Nach all dem Jubel gibt es zum Schluß hin dann sogar dezente "Kritik". Da der Film doch nur von den Autoren der TV-Serie geschrieben wird, ist wohl nichts besonders Innovatives zu erwarten, eher eine längere Folge. Und das (Zitat) "...mag etwas dürftig klingen, doch die Fans wollen es gar nicht anders. Ihre Helden sind anarchische Strichmännchen, deren Magie in absurden Situationen und aberwitzigen Dialogen steckt. Visuelle oder dramaturgische Höhenflüge erwartet niemand." Und das über eine Serie zu sagen, die mit Folgen wie "Life in the Fast Lane", "Lisa´s Substitute", "The Way We Was", "Bart Sells His Soul", "Mother Simpson", "Summer of 4 Ft 2" und manch anderen eben gerade die inhaltlichen und emotionalen Grenzen für Animation neu definiert hat, ist doch gewagt.
Nochmals erwähnt: jener Artikel steht nicht in irgendeiner Grabbel-Kino-Fun aus der McDonalds-Kiste, sondern in der führenden und meinungsbildenden (?) Fachzeitschrift "Cinema".
Chris