Gedanken zu Staffel 9

  • Hier wieder mal ein (wie üblich) etwas älterer Nörgelbeitrag von mir zum Thema Staffel 9. Beim erneuten Durchlesen erscheint er mir doch etwas einseitig, da hätte man sicher noch mehr differenzieren können bzw. sollen. Egal, ich stelle ihn einfach mal hier in unveränderter Form zur Diskussion.


    Das folgende Thema ist vermutlich nicht neu, aber in einer Zeit, in der nun kurz vor dem Kinofilm sicher wieder alle möglichen Schreiberlinge auf den "Simpsons ist halt Kult"-Zug aufspringen, sich kurz 2 aktuelle Folgen ansehen und in den Medien Hurra-Rufe verbreiten, kann etwas gezielte Kritik nicht schaden.


    Weil ja nun meines Wissens nach auch die DVDs zur Staffel auf dem Markt sind, werfen wir doch nochmal einen Blick auf die berüchtigte Staffel 9. Es ist die erste Staffel mit Mike Scully als Executive Producer, andererseits aber auch die Staffel, die zum Teil selbst von S1x-kritischen Fans noch relativ wohlwollend gesehen wird. Und dennoch zeigt sich (gerade rückblickend gesehen), daß eben gerade S9 IMO der "ultimative" Scheideweg war, ab dem die Serie über zuviele Jahre - und teilweise leider auch irreparabel - den falschen Weg gegangen ist. Sehen wir uns also die Entwicklung nochmals an.


    Interessanterweise findet man (wenn man z.B. zur S9-Erstaustrahlung in Deutschland auf drts zurückblickt) zum damaligen Zeitpunkt meist noch kaum Kritik oder nur verhaltene Kritik. Ich erinnere mich, mal per google ein Zitat von Christian Heller aus drts gelesen zu haben, der doch schon in S9 ein Ende empfahl und dies mit "Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende" begründete. Aber in der Regel war Kritik mit Herbeisehnen des Serienendes noch recht selten und eher ein Weg, um sich in Fankreisen unbeliebt zu machen ;-).


    Was wohl auch daran liegt, daß man S9 beim Erstsehen noch harmlos als kleinen Durchhänger sehen konnte bzw. als Neuorientierung der Serie, ohne den Weg gefunden zu haben. Erst rückblickend aus den S1x-Jahren (einschließlich heute) zeigt sich wohl, wie sehr auch S9 und die dort gegangenen Wege für das Kommende prägend waren.


    Nun ist S9 eine Mischung aus verschiedenen P-Codes: 4F aus S8 (mit Oakley & Weinstein), der Spezialcode 3G (ich glaube Jean & Reiss) und die echten S9 mit dem 5F-Code als Folgen mit Mike Scully als EP. Allein um dies aufzuzeigen, ist die Nennung des P-Codes stets hilfreicher, als die simplere Methode, z.B. nur von S9xE10 zu sprechen.


    Leider ist es auch so, daß selbst die Folgen mit Non-5F-Code nicht mehr sonderlich herausragend in der Staffel wirken, auch wenn sich die negative Entwicklung zum Ende der Staffel hin sicherlich immer deutlicher abzeichnete. Aber selbst O&W-Folgen wie "Principal and The Pauper" wirken in ihren "kreativen" (?) Themenansätzen seltsam unpassend und sind IMO deutliche Hinweise auf jenen (ja schon in S8 zum Teil präsenten) Ideenmangel, der dem Sitcombrei den Weg ebnete.


    Selbst die vielleicht beste S9-Folge, die 3G "Lisa´s Sax", hat bei genauerem Blick gewisse Schwächen, die sie nicht mehr zu 100% mit klassischen Homer/Lisa-Folgen gleichziehen lässt. Auffallend an der von Al Jean geschriebenen Episode ist in jedem Fall der Schluß, der uns ein Problem zeigt, das später geradezu symptomatisch für Folgen in der Jean-Ära werden wird: der an unpassender Stelle nachgesetzte Schlußgag, der uns erinnert, das wir nur einen lustigen Fun-Cartoon sehen - im Fall von "Sax" also der platte Grampa-Spaß ganz am Ende.


    Der "Irrglaube" (?) der hier in die Serie kam und bis heute leider weiterbesteht, ist IMO, daß man den Zuschauer wegen der Natur der Serie stets mit einem Lacher entlassen muß, damit er beim nächsten Mal wieder einschaltet. Das läuft der grundsätzlichen Absicht der klassischen Jahre zuwider, aber die waren ja nun vorbei. Der Stil wurde zur Grundregel von OFF und vieler anderer Serien. Eine der wenigen Ausnahmen war(bisweilen) eigentlich nur Futurama - dort wurden den Zuschauern auch ernstere Schlüsse zugestanden, die Stimmung und Absicht einer Folge nicht aus Prinzip auflockerten.


    Kommen wir jedoch zu den 5Fxx-Folgen und S9 in Reinkultur. Es ist eigentlich recht erstaunlich, daß jemand wie Mike Scully, der als Autor mit Folgen wie "Marge Be Not Proud" in S7 durchaus gelungene Inhalte abgeliefert hat, nun als Executive Producer zu einer Serie führt, die auf viele langjährige Fans mehr und mehr fremdartig und abgeflacht wirken wird. Andererseits haben IMO ja auch schon Folgen wie seine "Team Homer" in S7 gezeigt, wie er eventuell die Serie und die Charaktere sieht (man beachte den S7-Audiokommentar dazu.)


    Die Liste der Probleme der 5F-Folgen ist lang. Eine der deutlichsten Änderungen gegenüber den klassischen Jahren (in S8 aber vorbereitet) ist die Reduzierung der Charaktere von Persönlichkeiten mit Facetten auf Figuren mit wenigen, grundlegenden Charaktereigenschaften, die für die Funktion als Spaßfigur und Comedy-Werkzeug ausreichen. Ab und zu hingen in S9 noch einige Facetten nach, aber sie waren Nebeneffekte.


    Eine sehr "schöne" Folge (aber bei weitem nicht die einzige) um dies treffend aufzuzeigen, ist IMO 5F08 "Bart Carny". Homer macht Unfug auf dem Rummelplatz, Hausgäste vom Rummel besetzen sein Haus, Homer wird sie wieder los. Ende. Das ist die Handlung. Die Simpsons ließen sich im Grunde durch jede andere Sitcom-Familie ersetzen. Homer ist der Spaßmacher in Sketchen, andere Figuren (inklusive Bart und eben der Rest der Familie) sind nur dazu da, Homer seine Gags zuzuspielen. Daß der hier favorisierte Humor u.A. aus Stereotypen und sprechenden Kamelen besteht, sei dabei nur am Rande erwähnt.


    Ein anderer Charakter, den es spätestens ab S9 sehr "übel" getroffen hat, ist leider auch Lisa. Die Reduzierung des Charakters lief hier auf genau das Ergebnis heraus, das für eine leichte Unterhaltung mit dem Anschein von Satire gebraucht wurde: die kleine Nörgeltante nach dem einseitigen Mini-Erwachsenen-Moralitäts-Schema. Daß das mit einer klassischen Lisa aus Folgen wie "Substitute", "Wedding", "Iconoclast" oder "4 Ft 2" nicht mehr viel zu tun hat, sollte jedem aufmerksamen Zuschauer ersichtlich sein. Und dennoch springen gerade viele "Lisa-Gegner" auf dieses grob einseitige Charaktermodell der Scully-Jahre auf, um zu begründen, warum Lisa als Charakter langweilig sei. Meh.


    Folgen, die dieses Problem in S9 besonders deutlich aufzeigen, sind z.B. "Girly Edition" und "Lisa The Skeptic". Natürlich verdient auch das berüchtigte "Who needs College? Let´s buy dune buggies" von Lisa aus "Trouble with Trillions" als anderes Extrem Erwähnung. Was dabei am Beispiel Lisa sehr schön zu sehen ist, läßt sich auch auf viele andere Charaktere anwenden: Reduzierung der Charaktereigenschaften auf das humoristisch Wesentliche und Verlust der Balance (wenn man es Hochtrabender nehmen will: auch Verlust einer gewissen "Würde", die nun nicht mehr in das Schema der Serie passte.)


    Nun waren komplexe Charaktere nicht die einzige Qualität der Serie, daneben war sie ja stets auch eine subtile und treffende Satire zu den verschiedensten gesellschaftlichen Themen gewesen. Als jedoch der Serie mit der Komplexität und der Sympathie für die Charaktere quasi der "Mittelpunkt" genommen wurde, folgte der Qualitätsverlust der Satire umgehend (automatisch?) nach. Die Themen wurden harmlos, sitcomig, einseitig oder formelhaft. Selbst "bessere" Beispiele wie z.B. "Joy of Sect" oder die IMO überschätzte "Trash of the Titans" zeigen dies an vielen Schwachstellen auf.


    Die Serie folgte damit weder ihrer Vergangenheit, noch entwickelte sie sich innovativer weiter, sondern wurde eher Strickmuster und Vorlage für Plagiate und für Pseudo-Satiren im Trickserienbereich. Das diese (zumindest für mich) niemals wirklich erfolgreich werden konnten, liegt somit wohl auch daran, daß sie begonnen haben, die Simpsons zu einem Zeitpunkt zu kopieren, als schon das Original kein echter Ansatz für Klasse mehr war. Die einzige Serie, die die wichtigsten Eigenschaften klassischer OFF für sich verwenden konnte, war denn erstaunlicherweise wieder das "zukunftsgewandte" Futurama.


    Ein nettes Beispiel am Rande: 5F04 "The Two Mrs. Nahasapeemapetilon". Charakterfolge? Oder gar Satire über kulturelle Unterschiede bzw. die Reaktion der US-Öffentlichkeit darauf? Näh. Lustige Homer-Sitcom, in der Homer auch durch jeden anderen Spaß-Daddy ersetzt werden kann. Es geht alibiweise um Apu als Charakter, objektiver geht es um Apu, der Homer die Gags zuspielt und Homer, der sie ausführt. Interessanterweise hat Manjula am Schluß der Folge mit ein paar Sätzen ihre besten Szenen überhaupt, was kein gutes Licht auf ihre späteren Auftritte wirft.


    Wenn ich mir nun eine Liste der S9-Folgen ansehe, dann finde ich dort irgendwie überhaupt keine Folge, der ich ohne Kritik völlig zustimmen würde, nicht mal "Lisa´s Sax" (siehe oben). Und bei vielen 5Fxx-Folgen nimmt der Kritikfaktor eher noch zu, gerade rückblickend gesehen. Den Tiefpunkt sollte der P-Code bei den Nachzüglern in S10 erreichen, man denke an "Lard of The Dance" (unsympathische Lisa, lustiger Homer-Job mit Sidekick Bart, Auge raussaugen mit Staubsauger etc.) und natürlich an 5F19 - jene Folge, die für viele doch den ersten, wahren S1x-Effekt verkörpert - "When You Dish Upon A Star".


    Und trotz aller Jean-Ära-Probleme würde ich persönlich auch weiter bei meiner Aussage bleiben: S15 war besser als S9.


    Soviel mal kurzgefaßt zu diesem Thema von mir. Natürlich ist das Thema weit umfangreicher und es wäre zu einfach, die "Schuld" an der Entwicklung nun Scully oder S9 allein zu geben. Daß sich in der Serie Probleme aufsummierten, zeigte ja bereits Staffel 8, die trotz des Engagements von Oakley und Weinstein IMO nicht mehr an Staffel 7 gleichwertig anschließen konnte-


    Chris