Beiträge von Chris_Pfeiler

    Ich vermute zwar mal, daß hier im Forum kaum mehr jemand mitliest, aber ich weiß, daß mein Blog doch einige Besucher und Mitleser hatte, die aus drts oder hier aus dem Forum kamen. Und weil es in dem alten Thread hier gerade um das Thema geht, antworte ich einfach mal.


    Mein altes Blog bei simpleblog.org musste ich diesen Monat nach 9 Jahren aufgeben, weil sich dort scheinbar niemand mehr um einen Defekt kümmert. Zumindest ist das Blog seit über 3 Wochen down. Ich habe jetzt ein neues Blog bei wordpress begonnen (= neumodischer Schnickschnack ;-)):


    Hier der Link:


    https://bruchbach2.wordpress.com/


    Mit dem Thema Simpsons hat das zwar nicht mehr viel zu tun, aber vielleicht sind ja noch ein paar der alten Mitleser hier im Forum unterwegs, die ich gerne auf diesem Weg informieren möchte.


    Chris

    Hier ist der zweite Teil des Beitrages. Ich werde mich im folgenden Text nun dem Thema Japan und den dortigen Befindlichkeiten zuwenden. Das ist nicht so einfach und nur meine bescheidene Laien-Meinung. Gelernte Nippologen dürfen mich gerne korrigieren.


    Die Frage die sich natürlich stellt: warum gerade Japan als Nährboden für eine so umfangreiche (und oft genug seltsame) Animationskultur? Wenn man sich die japanische Gesellschaftsstruktur ansieht, dann findet man dort wohl auch einige eher unschöne und geradezu repressive Aspekte: die starke Hierarchie, bei der Erfolg und gesellschaftliche Position ungemein wichtig sind, die generelle Tendenz zum "Nicht-auffallen-dürfen" und Konformität (es gibt dazu das nette Sprichwort "Der Nagel, der aus dem Brett heraussteht, muß eingeschlagen werden") und die starke Betonung einer Notwendigkeit der gesellschaftlichen Harmonie über den Wünschen des Individuums.


    Es gibt Unterschiede und Rollenverteilungen in etlichen Bereichen, zwischen jung und alt, zwischen Mann und Frau, zwischen Erfolg und Mißerfolg usw. All das spiegelt sich neben anderen Dingen auch in der Sprache und den Höflichkeitskonventionen wider, die stets auch vom Stand des Betreffenden in der Gesellschaft abhängen. Es gibt darüber hinaus sogar in der Sprache und Wortwahl (kaum übersetzbare) Unterschiede zwischen Mann und Frau. Benutzt eine Frau Begriffe, die eigentlich für den Mann reserviert sind, betont sie damit gleich ihre Seltsamkeit (es kommt im Anime daher gerne auch mal vor, geht in Übersetzungen aber wohl verloren). In der Realität wäre das ein grober sozial Fauxpas, daher bleibt es den Zeichentrickfiguren überlassen, die Grenzen zu übertreten.


    Die japanische Popkultur ist geprägt von grellen Tönen, Oberflächlichkeit, und vor allem auch Schnelllebigkeit mit Stars, Sternchen und Kurzzeit-Idolen, sowie einer alles durchdringenden Digitalisierung und Allzeitverfügbarkeit. Und dennoch taucht gerade in dieser Umgebung das seltsame Phänomen auf, daß sich der Eskapismus aus der überstrengen Gesellschaftsstruktur ausgerechnet in Form von Comics und Zeichentrickserien zeigt, in denen die Charaktere so ganz anders sind, als das Alltagsleben. Und in den allerbesten Produkten dieser Weltflucht können sich dann Ideen manifestieren, die Themen wie Humanismus, Philosophie, life, the universe and everything und das Leben innerer Welten zu einer Brillanz und Vielfältigkeit kombinieren, die es so sonst nirgendwo auf der Welt gibt. In jenen Fällen wird dann auch die oft schwer nachvollziehbare japanische Mentalität zu einem Sprachrohr für einen universellen Humanismus bzw. zu einer Botschaft über das Gute im Menschen an sich.


    Wie gesagt, wir sprechen hier von seltenen Perlen, von vielleicht jeweils einer von 100 Serien, wenn nicht sogar von einer von 1.000. Hier fließen dann natürlich auch andere Aspekte, "Konflikte" und Kontraste innerhalb der Gesellschaft mit ein: Industrie und Fortschritt vs Naturglauben und alten Shintoismus, erfolgsorientiertes Leben vs Bescheidenheit, der alte Weg des Lebens und der "splendid isolation" der Insel vs westliche Assimilation, Hinterfragung der Gesellschaft vs Nicht-auffallen-wollen, sicherlich auch neue Frauenrollen vs althergebrachtes Patriarchat. Auch klassische Traumata wie Naturkatastrophen, Zerstörung und (als problematischer Aspekt) das sogenannte unehrenhafte Verlieren des 2. Weltkriegs haben ihren Anteil. Wenn man aber all das und mehr richtig zusammenbringt, dann kann der Widerspruch und Kontrast zwischen all diesen Themen zu etwas führen, daß weit mehr ist, als die Summe seiner Teile.


    Ein für mich interessanter Aspekt ist übrigens, daß sich der Eskapismus in Serien durchaus auch auf Zeitgeist und Fortschritt beziehen kann. Zugegeben, es gibt sehr viele Serien mit Glorifizierung von Technologie und Fortschritt bzw. mit "digitalen Utopien", die mir weit mehr als düstere Dystopien erscheinen. Auf der anderen Seite gibt es aber Serien, in denen Fortschritt sehr weit im Hintergrund bleibt. Da kann es dann durchaus vorkommen, daß jugendliche Charaktere Tonbandgeräte, Super-8-Kameras oder Polaroidfotos verwenden. Könnte man sich so etwas in einer deutschen Trickserie vorstellen, die doch immer die "Lebenswelten" der jungen Zuschauer erfassen soll? Dazu fallen mir als deutsches Bespiel stets die neuen Mainzelmännchen (pardon, ich meine die 6hipdudes@mainz) ein, die nach der Modernisierung nun wohl in jedem zweiten Clip mit Smartphones, Notebooks und Flatscreens herumhantieren. Soll ja niemand denken, das 2DF wäre ein altmodischer Sender ;-).


    Nun könnte man an dieser Stelle natürlich die etwas schräge Frage stellen: woher kommt der immense Unterschied zwischen Deutschland und Japan? Beide Länder teilen zumindest im 20. Jahrhundert ähnliche Vergangenheiten: sie haben sich vor und im 2. Weltkrieg auffallend schlecht benommen, wurden besiegt und besetzt, amerikanische Werte und Kultur wurden assimiliert und transformiert. Arbeitsethik, fragwürdige Ehrbegriffe und hierarchisches Bürgertum sind zumindest auch in Ansätzen vergleichbar vorhanden. Und trotzdem gibt es den aktiven Eskapismus, der die immense Kreativität in Japan befeuert, in Deutschland kaum. Während sich in Japan die Formen und Bildsprachen einer Animationskultur entwickelt haben, fiel der Eskapismus in Deutschland ziemlich flach, und die "Kreativität" floß in betuliche Familienserien und Betonungen der bürgerlichen Ordnung (sowie in ebensolche Comics, die sich stark an klassische Tierfabeln anlehnten).


    Zurück nach Japan. Gerade der Aspekt der "splendid isolation" ist eventuell ungemein wichtig für das Erfolgsgeheimnis. Die Serien und Filme werden prinzipiell immer zuerst für den japanischen Markt und die dortigen Gegebenheiten und Geisteswelten geschaffen. Man kann immer sofort am Verhalten, am Stil, an den Namen, an der Szenerie, an der Religion, am Essen und Trinken, ja selbst an den Geräuschen von Stadt und Natur erkennen, daß man sich in Japan befindet (und daß die "kleine Insel" für die Charaktere oft das Zentrum des Universums darstellt). Handlungen, die z.B. in Welten von Göttern und Geistern, von kami, yokai und ayakashi, und im religiösen Synkrethismus zwischen Shinto, Buddhismus und Schauwerten des Christentums spielen, sind stark auf ihre kulturellen Wurzeln festgelegt. Das erscheint mir immer als deutlicher Kontrast zu der Globalisierung und Amerikanisierung westlicher Formate. In japanischen Formaten kommt gerade Amerika und das amerikanische Militär oft auffallend schlecht weg. Woran das nur liegen mag? ;-).


    Wenn man eine Folge wie "Lisa´s Substitute" als beste Simpsons-Folge aller Zeiten betrachtet, dann kann man vielleicht nur entweder am westlichen Trickprogramm der Gegenwart verzweifeln, oder letztlich (trotz aller begründeten und unbegründeten Vorurteile) doch bei den Anime landen. Dort ist Anteilnahme und Sympathie/Empathie für die Charaktere ein fester Bestandteil und kulturell akzeptiert. Erstaunlicherweise waren auch gerade die "gelben Chaoten" bzw. Simpsons eine Serie, die am Anfang als eines der wenigen westlichen Produkte diesen respect-the-inner-life-Aspekt aufgegriffen hat - man denke an die doch sehr andere Folge "Moaning Lisa". Wie schon gesagt, ist das aber inzwischen ein archaisches Bruchstück, daß deutsche Zuschauer irritiert. Bei den japanischen Serien hat diese Eigenschaft überlebt. Der Preis, den man für diese ernsthafte Behandlung von Charakteren im Anime zahlen muß, ist natürlich auch, daß es keine Garantie gibt, daß alles gut wird. Man darf eine Bindung zu einem Charakter entwickeln, aber der Charakter kann sterben. Und auch das gehört dazu.


    Wenn man über Licht spricht, darf man natürlich auch die Schattenseiten nicht vergessen, die vermutlich auch deswegen so ausgeprägt sein können, weil sie eben nicht für gaijin (also Ausländer) entwickelt sind, sondern für einen kulturellen Kontext vor Ort. Was keine Entschuldigung ist. Über Themen wie Sexismus, Objektifizierung, pädophile Konzepte etc. muß man wenig sagen, sie kommen sehr häufig vor, und viele westliche Fans sehen den größten Anreiz zum Schauen und Sammeln von Serien wohl gerade auch in kitschiger Erotik, Stereotypen und Klischees. Man kann um diese Themen einen mehr oder weniger großen Bogen machen, natürlich gibt es in der Masse auch dahingehend "unschuldige" Serien - die Anführungszeichen deshalb, weil sie es so ganz oftmals nie lassen können. Und wenn es gar keine Bezüge in dieser Richtung gibt, dann sind viele Fans scheinbar der Ansicht, sie müssten welche entdecken oder erfinden. Naja.


    Andere Schattenseiten sind oft die unterschwelligen Tendenzen zu Konformität und Leistungsdenken, die auch der Eskapismus nicht ganz entfernen kann. All die Serien, in denen irgendwer (oder irgendwas) trainieren, kämpfen, siegen und sich weiterentwickeln muß, fallen in dieses Schema. Erstaunlicherweise verkauft sich dieser Kram auffallend gut in den Westen, während Serien mit stillen und "schwachen" Charakteren (wie etwa Freund Natsume) hier offiziell weitgehend unbekannt bleiben. Das Thema Einordnung in Gruppen und die Leistungsgesellschaft in der Schule ist auch häufig subtil präsent. So weist etwa ein jugendlicher Anime-Charakter, der nicht zur Schule geht oder keine Leistung bringt, auf irgendein großes Problem hin, das mit Hilfe von anderen Menschen überwunden werden muß. Das ist ein Standardmuster.


    Auch das Verhältnis zur eigenen Geschichte und zum japanischen Imperialismus und Militarismus ist eine Quelle problematischer Aspekte. Die Mentalität ist hier eine deutlich andere als in Deutschland, da sich Japan nach wie vor weit mehr als Opfer sieht, und nicht als Täter im Zweiten Weltkrieg. Ich will nun dazu keine historische Betrachtung beginnen, das wäre zu ausladend. Wenn man sich Dokumentationen darüber ansieht, was in China und z.B. in Nanking geschehen ist, dann zerbröselt die "Unschuldsfassade" doch sehr schnell. Aber das ist ein anderes Thema. Eine Auseinandersetzung mit solchen Fragen suche ich bisher im Anime auch vergeblich. Man kann im Genre zwar viele Wege gehen, aber eben doch nicht alle.


    Jedenfalls ist es bis zum heutigen Tag kein Problem, wenn Charaktere z.B. in Serien, die in historischer Zeit spielen, unverblümt davon sprechen, daß der Lebensraum für das japanische Volk auf dem Festland liegt (also China, Russland oder Korea), oder daß Ehre, Flagge und Volksgemeinschaft wichtiger sind, als das Leben einzelner. Man stelle sich nur vor, was mit einer deutschen Trickserie passieren würde, die solche blasigen Sprüche schwingt. Militärische Hardware wie Kampfroboter, Raketen, Raumschiffe, Schlachtkreuzer, U-Boote, mächtige und dicke Waffen aller Art etc. werden auch sehr gerne glorifiziert (und sexualisiert), besonders wenn es beim Feind dann richtig BUMM macht. Auf der anderen Seite gibt es dennoch auch stille und pazifistische Serien und Filme. Starke Kontraste überall.


    Den stärksten Kontrast sehe ich auch gerade in der oft äußerst persönlichen Natur, die eine wirklich gute Serie haben kann ("Die Serie ist mir das wert, was sie für mich bedeutet"), und in der Massenbehandlung, die das ganze Genre im Internet erfährt. Die moderne Welt ist vielleicht in gewisser Weise durchaus der Nährboden für die Kreativität der Serien, und der Wind, der diese Kreativität verbreitet und neue Blüten hervorbringt. Auf der anderen Seite ist die Moderne aber auch wieder der Holzwurm im Gebälk, der zu Vereinfachung, Wachstumsproblemen und leicht pflegbaren Monokulturen führt. Ähm, kann jemand dieser obskuren Vegetations-Metapher folgen? ;-)


    Ich habe den Eindruck gewonnen, daß einen die Kultur zum Thema Anime, die im modernen Internet betrieben wird, oft eher "runterzieht", anstatt die Freude an den Serien und Themen zu beleben. Anstatt Gedanken und Emotionen zu Serien findet man dort häufig nur Einsortierungen in feste Schemen, die üblichen Web-Manieren (z.B. in der Art von Kommentaren wie "I laughed my ass off when the old f**k died..." als Kommentar zu einer Sterbeszene) und Zweizeiler-"Reviews". All das je nach Ort und Serie sicher auch in unterschiedlichen Qualitäten , aber ich habe im Internet bisher keine Anime-Anlaufstelle gefunden, die mich sonderlich anspricht. Viele Leute, viele Daten, viele Listen und Votesheets, viele bunte Bilder in Hochglanz, aber nur wenig Substanz.


    Wir haben auf der einen Seite Serien, über deren Aussage und Wirkung und offenen Fragen man eigentlich oftmals "in sich selbst" reflektieren könnte oder sollte oder prinzipiell müsste. Digital teilbar und begründbar und sortierbar ist das oft nicht. Auf der anderen Seite haben wir die Onlinekultur, die die Serien als Daten wie im Jahr 2013 üblich in Kategorien, Reputationen, Votes, Likes und Rankinglisten einzustufen und zu sortieren sucht, wie man es halt mit jeder Art von Daten macht. Meh.


    Was mich persönlich zu einem gewissen Problem führt: einerseits habe ich weder das Interesse, noch die technischen Möglichkeiten zum Antesten und Speichern von Massendaten, andererseits möchte ich meine Auswahl an etwa 3 - 4 Animeserien pro Jahr selbst treffen und mir meine Meinung nicht vom Internet und Wertungen anderer Leute vorfiltern lassen. Wie also die wenigen wirklich herausragenden Serien in der Masse finden? Bisher bin ich mit der Taktik, ein wenig nach Gefühl und ein wenig nach kurzen Inhaltsangaben und auch sympathischen Titeln vorzugehen, meistens ganz gut gefahren. Es ist bei der Vielfalt der Genres und Inhalte, die man unter dem großen Dach "Anime" inzwischen vereint findet, vermutlich schwierig, einen gültigen Leitfaden für Qualität zu formulieren.


    Die Aussage "Hat man einen gesehen, hat man alle gesehen..." trifft jedenfalls nur bei oberflächlicher Betrachtung zu. Die Aussage "Nimm halt Serien, die bei diesem und jenem Ranking auf Fansite xyz ganz oben stehen..." genieße ich auch mit Vorsicht. Was also tun? Ich würde sagen, mein persönlicher Leitfaden lautet so, daß sich eine gute Serie in jedem Fall dadurch definiert, daß sie ihren Fokus zuerst auf das Individuum lenkt, und über das Individuum dann ausformuliert, was Natur der Realität, Humanismus und das Gute im Menschen letztlich sind und bedeuten. Und ob man es glaubt, oder nicht, man kann diese Perlen finden. Ein paar Tipps habe ich schon gegeben, AnoHana und Natsume Yuujinchou (alle 4 Staffeln) stehen ganz oben auf der Liste, auch weitere 2 oder 3 Serien fallen mir noch ein.


    Chris

    Um für das Forum ein wenig zu tun, hier mal wieder ein langer CP-Faselbeitrag aus dem Blog. Der setzt einerseits das Anime-Thema fort (daher verwende ich diesen Thread), greift aber weiter unten u.A. auch das Thema Simpsons auf. Interessieren so lange Beiträge hier eigentlich noch jemanden?


    Ich hatte die Arbeit daran zwischenzeitlich wieder zurückgestellt, und zwar aus dem einfachen Grund, daß mir das bereits durchgekaute und eher medial angepasste Thema bei genauerer Betrachtung als wenig interessant für die meisten Leser (die anderes von mir erwarten) erschien. Eventuell kann es aber als Thema auch ein guter Aufhänger für ein paar Gedanken für und wider dem aktuellen Zeitgeist bzw. der generellen Mentalität der Welt sein.


    Damit der Beitrag nicht zu lang wird, werde ich ihn auf zwei Teile anlegen. Hier der erste Teil, der zweite Teil dann in der nächsten Woche. Es geht nochmals um das Thema des Massenphänomens japanische Anime-Serien und meinem Verhältnis zu ihnen. Wieviele Leser habe ich gerade mit einem gelangweilten Aufstöhnen verloren? ;-).


    Egal, weiter im Text. Was ich in gewisser Weise faszinierend an dem ganzen Themenkomplex finde, ist, daß eine Handvoll japanischer Trickserien das geschafft hat, was zahlreiche von angeblich angesagten Muß-man-gut-finden-"West"-Serien und Blockbustern nicht geschafft haben: bei mir ernsthaftes Interesse und Zustimmung für ein Produkt des 21. Jahrhunderts zu wecken.


    Womit ich nicht sagen will, daß ich auf der anderen Seite nicht auch gerade wieder das 21. Jahrhundert für eventuell deutliche Abstriche bei Wirkungen und Möglichkeiten und Chancen verantwortlich mache. Mein persönlicher Eindruck wird IMO auch stark davon geprägt, daß ich das Genre und seine Medien (und deren Verfügbarkeit in kleinen, bevorzugt analogen Portionen) auch auf meine technischen Möglichkeiten im 20. Jahrhundert "anpasse", was sicherlich zu einer geänderten Rezeption der ganzen Sache führt.


    Ich bleibe auch dabei, daß die schiere Masse erschreckt, und es unter jeweils 100 Serien vielleicht nur eine wirklich Gute gibt. Das Phänomen Anime hat eventuell sowohl die besten Serien aller Zeiten, als auch die schlechtesten Serien aller Zeiten hervorgebracht. Nirgendwo anders liegen wunderschöne Ideen und gröbste Auswüchse, extrem laut und unglaublich leise, komplexe humanistische Fragen und problematische Mentalitäten näher beisammen. Das tiefere Empfinden zu einer herausragenden Serie ist durch ihre Natur IMO eine persönliche und individuelle Sache, und nichts, daß sich konstruktiv an Rankinglisten, Popularitätspunkten, Votes und "likes" online festmachen und ausführen lässt. Gerade die Diskrepanz zwischen der äußerst persönlichen Natur der herausragenden Serien und der grellen "Öffentlichkeit" des modernen Internets zum Thema erscheint mir auch irritierend.


    Dazu später mehr in Teil 2. Ich muß etwas weiter ausholen und mich erst den westlichen Formaten zuwenden.


    Was ich nicht nachvollziehen kann, ist die Begeisterung für alle möglichen "In"-Realserien, die zur Zeit so angesagt auf Pro7 und Co laufen. Mangels Fernseher bekomme ich die zwar nur bruchstückweise bei anderen Leuten mit, aber wenn ich mal einen Blick auf moderne Quoten-Hits wie "How I Met Your Mother" und "Two and A Half Men" (scheinen ja beide ständig zu laufen) oder sonst etwas werfe, dann führt das eher nur zu einem müden Achselzucken. Was soll daran nur so brillant sein?


    Worauf begründet sich die etablierte Ansicht, mit der gesagt wird, daß erst Dank solch neuer Serien TV-Formate der Moderne endlich "erwachsen" geworden sind, während früher alles meistens ja nur Unfug Marke "Knight Rider" und "A-Team" war? Ich halte beide Behauptungen für falsch. Moderne Serien erscheinen mir in all ihrer digitalen Vermarktung überbewertet, und das sehr große Universum klassischer Serien für unterbewertet. Wobei zugegeben viele der wirklich guten Sachen in Deutschland niemals einfach zugänglich bzw. durch teutonische Bearbeitungen beeinträchtigt waren.


    Ein weiteres Problem, daß mir bei modernen Serien oft auffällt, ist, daß sie in ihrem Stil zu einheitlich und zu globalisiert sind. Man hat nicht mehr den Eindruck, die Serie eines bestimmten Ursprungs zu sehen, sondern ein für den Weltmarkt durchgeplantes Medienprodukt. Es fehlt oft der spezielle lokale Unterton, der früher viel vom Reiz ausgemacht hat. Ein gutes Beispiel hierfür ist vielleicht der neue und hippe "Doctor Who". Ich hatte mich ja in einem früheren Beitrag schon dazu geäußert.


    War die Serie in ihren klassischen Jahren oft ein deutliches Beispiel für budgetbedingte Skurrilität, britische Mentalität, britische Eigenheit und den dortigen Markt (so war es völlig normal, daß eine Alien-Invasion der ganzen Welt auf einer grünen Wiese hinter einem Pub irgendwo in Berkfordshire beginnt und endet, oder die Space-Overlords aus der fünften Galaxis mit stark britischen Akzenten sprechen), macht sie heute einen eher stromlinienförmigen, globalisierten, und vor allem auch gezielt amerikanisierten Eindruck für den Weltmarkt. Das mag vielen gefallen und notwendig sein, mir fehlt aber die Skurrilität und Eigenheit der Insel. Dieses Argument ist eventuell wichtig, es kommt später nochmals in anderer Form - und mit anderer Insel.


    Einen ausgeprägt negativen Eindruck habe ich auch bei der hiesigen 2013er-TV-Auswahl an westlichen Zeichentrickserien. Gab es früher (Anfang der 90er Jahre) zumindest noch eine große Auswahl durch vielfältige - wenn auch oft inhaltlich platte - Cartoon-Programme auf z.B. ZDF, RTL Plus, SAT 1 und klassischem Tele 5, so hat man heute beim müden Durchschalten IMO oft den Eindruck, das moderne Trickserien-Angebot bestehe nur noch aus "Spongebob" und "Cosmo & Wanda" bzw. auch diversen Kopien der beiden Formate. Daneben noch ein paar rosabunte Mädchenserien in 3D, bei denen mir Kitsch, Klischees und Rollenprägung sogar ausgeprägter erscheinen, als in den "plumpen" 80ern - von echter Emanzipation im Jahr 2013 zumindest kaum eine Spur. Liegt es an mir, oder ist das Trickserien-Programm im deutschen Fernsehen wirklich so grob einseitig und konservativ-cartoonig geworden?


    Leider war besonders Deutschland im Bereich Animation IMO schon immer auffallend desinteressiert und unkreativ. Was bedauerlich ist, wenn man bedenkt, daß Pioniere des Genres wie Lotte Reiniger aus Deutschland kamen ("Die Abenteuer des Prinzen Achmed" von 1926 war der erste mehr oder weniger abendfüllende Trickfilm noch vor Disney). Aber es liegt wohl an der konservativen deutschen Mentalität, die sich für eine wirkliche Evolution und echte Kreativität im "Kinderformat" nie ernsthaft begeistern konnte.


    Ein gutes Beispiel für das Problem deutschen Trickfilmschaffens war vielleicht vor einigen Jahren die platte Fix & Foxi-Zeichentrickserie mit Vorschul-Zielgruppe (nebenbei bemerkt als eine sehr günstig gemachte Auftragsarbeit in Spanien realisiert). Sicherlich nicht das, was das Potential der Comics verdient hätte. Daß eine extrem langlebige und Jahrzehnte erfolgreiche Comicserie mit einem derartig hingeschluderten Produkt abgefertigt wird, wäre in Japan vermutlich undenkbar - je erfolgreicher der Comic, desto höher das Serienbudget und desto weitgefasster die Zielgruppe.


    Was mir im westlichen Trickserien-Programm an sich vor allem fehlt, ist eine wirkliche Evolution des ganzen Genres. Und Evolution heißt für mich eben nicht bunte Linien, 3D-HD, Digitalkolorierung und Gagfeuerwerk, sondern mehr, daß man Trickserien echten Tiefgang, Komplexität, fordernde Stories und ein reiches Innenleben für Charaktere zugesteht. Wo findet man sowas im heutigen Angebot von kunterbunten Faxen und schrillen Gags? Eventuell noch ansatzweise in den wenigen Animes, die sich auch auf einen deutschen Markt anwenden lassen. Die wirklich guten Serien sind dort aber vermutlich auch nicht dabei, weil es die glücklicherweise gar nicht in synchronisierten Fassungen gibt.


    Und man kann es immer gerne erwähnen: gerade auch das Schicksal der Simpsons ist für mich immer mit ein Indiz, wie erfolglos Tiefgang und echte Charakterhandlungen in westlicher Animation oftmals sein können, und wie ausgeprägt die "Evolution" einer Serie in die falsche Richtung läuft, wenn es nur um Quote und Erfolg geht - im Fall der Simpsons von den komplexen Charakterstories und subtilen Satiren der frühen Jahre Marke "Lisa´s Substitute" (für mich nach wie vor die beste Folge aller Zeiten) oder "Two Cars" hin zur grellen Spaßparade der letzten Jahre bzw. des 21. Jahrhunderts an sich.


    Die genialen und "anderen" Folgen der Simpsons sind in Relation zur Gesamtserie inzwischen nur mehr Bruchstücke in schlechter "Grafik". Die Begründung, die Pro7 vor einigen Jahren dafür gab, daß keine älteren Folgen der Simpsons mehr gezeigt werden, mag symptomatisch für das westliche Problem im Allgemeinen, und das deutsche Problem im Speziell sein - alte Folgen, die so "ganz anders" sind, als neue (beliebte) Folgen würden "Zuschauer irritieren" (den unausgesprochenen Satz mit dem geringen Wert für Werbekunden muß man sich dazu denken). Das passt natürlich auch sehr gut zu diversen Ablehnungen, die es seinerzeit für die Bruchbach-Idee gegeben hat.


    Wenn man rein für das Argument einfach mal annimmt, daß moderne Realserien in gewisser Weise tatsächlich nun "besser" und komplexer und erwachsener geworden sind, als ihre Vorgänger aus vergangenen Jahrzehnten, dann sei hierzu die Frage erlaubt: warum wird diese Tugend, Qualität und Entwicklung im Westen nicht auch den Trickserien zuerkannt? Warum dürfen viele Realserien heute "erwachsen" sein, Animation steckt aber weiterhin in Formaten von Spongebob und helfenden Elfen fest bzw. darf nur dann als erwachsen gelten, wenn krude Späße herumgeworfen werden?


    Warum kann Animation nicht auch dadurch erwachsen sein, daß sie schlicht Respekt und ausgefeiltes Innenleben für ihre Charaktere und deren Wirkung und Realität hat und entfaltet? Warum brechen die Konventionen und Genres nicht auf? Hier fehlt dem westlichen Denken und auch der Kreativität IMO weiterhin der Sprung zum echten Fortschritt. Die eigentliche Sprungfeder, die fehlt, ist vermutlich eine, die in der japanischen Mentalität vorhanden ist, die im Westen bzw. gerade in Deutschland aber eher belächelt wird. Auch dazu später mehr.


    Bevor nun Gegenargumente mit Beispielen kommen: ja, es gibt auch tendenzielle Ausnahmen von der Regel. "Futurama" in seinen Glanztagen sei hier zu erwähnen, und auch die Leute von Pixar haben oftmals Gespür für Tiefgang (wobei eines der großen Vorbilder der Pixar-Leute auch Anime-Guru Hayao Myazaki ist). Einige amerikanische Trickserien haben bzw. eher hatten auch bisweilen Tendenzen in die richtige Richtung, gingen den Weg aber selten zu Ende. Es sei auf die klassische Batman-Serie vom Anfang der Neunziger verwiesen, als Glanzpunkt könnte hier der schon mal erwähnte "Mask of the Phantasm"-Film und seine fatalistische Art-Deco-Atmosphäre gelten.


    Aber genau wie bei den Simpsons kann man auch bei solchen Serien sehr schnell eine "Anpassung" bemerken, im Fall von Batman durch später deutlich flachere (Robin-)Stories. Als gutes Beispiel für die geringe Chance gewagter Formate ist IMO erstaunlicherweise auch "The Real Ghostbusters" der 80er Jahre zu nennen, die als durchaus atmosphärische und frische Semi-Grusel-Serie begann, nach mehreren Weichspülvorgängen aber am Schluß als kunterbunter Kiddie-Cartoon endete. Und gerade im Vergleich mit dem Terrain, in das sich japanische Animation wagt, wirken westliche Versuche oft auch relativ halbgar und wenig dazu bereit, Genrekonventionen ernsthaft zu überwinden.


    Zusammenfassend gesagt: was wir haben, sind also in deutscher Produktion etablierte Serien Marke Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg und im international-westlichen Programm ein Übermaß an Spongebob und Co. Die alte Serienvielfalt, bei der man zumindest noch eine gewisse Auswahl hatte, ist auch futsch bzw. bei irgendwelchen Spartenkanälen begraben, wenn überhaupt. Und das Schicksal von Serien wie den Simpsons, dem klassischen Art-Deco-Batman oder den Real Ghostbusters sind für mich auch stets ein gutes Indiz dafür, was mit westlichen Trickserien passiert, die allzu anders sein wollen. Einen echten Fortschritt dank 21. Jahrhundert sehe ich nicht. Moderne Simpsons in HD und Digitalkolorierung sind die Illusion von Fortschritt für die Quote, nicht die wahre Evolution der Idee und ihrer Möglichkeiten.


    Im zweiten Teil des Beitrages werde ich mich dann nächste Woche den Animes zuwenden bzw. der Frage, warum diese IMO sind, was sie sind, und was ein der westlichen Welt fremder Eskapismus damit zu tun hat. Das wird sicherlich auch nochmals ein Beitrag ähnlicher Länge. Oder interessiert das gar niemanden? Ansonsten hätte ich als Alternative noch ein paar kewle Screenshots vom 386er im Angebot ;-).


    [to be continued...]


    Chris

    Bei den Simpsons ist es nunmal so, dass wenn ein Synchronsprecher für den Originalton, also Englisch stirbt, dass die Figur aus Respekt zum Menschen nicht ersetzt wird.


    Wobei dies IMO auch nicht 100% konsequent gemacht wird, zumindest nicht bei kleineren Rollen. Lunchlady Doris blieb zwar eine ganze Weile stumm (nachdem Sprecherin Doris Grau gestorben war), irgendwann in den aktuelleren Staffeln sprach sie aber dann wieder - ich glaube mit Tress McNeille als neuer Stimme. Man korrigiere mich, falls nötig.


    Chris

    Danke für die Auskunft. Ich hatte es leider befürchtet und werde mich wohl auch weiterhin fern von neuen Folgen halten bzw. auch alte Folgen nur mehr sehr sporadisch gucken, damit sie ihre Wirkung behalten. Gestern hatte ich mal wieder "Mr. Plow" und "Sideshow Bob Roberts" geschaut, und die haben mich doch wieder daran erinnert, was mal so großartig an den Simpsons war. Vermutlich sollte man die Serie so im Gedächtnis behalten.


    Chris

    Was mich spontan mal interessieren würde: ich habe ja nun seit Staffel 21 keine einzige neue Folge mehr gesehen. Habe ich da irgendetwas versäumt? Gab es herausragende Folgen? Hat sich an der Qualität (Stories/Charakterisierung/Satire/Zitate) etwas merklich geändert, oder ist es nach wie vor die selbe 08/15-gelbe-Comedy-Fließbandarbeit wie in den letzten Jahren bzw. eigentlich schon seit spätestens Staffel 9?


    Meine Anforderungen an Qualität und Charakterisierung sind ja bekanntermaßen sehr hoch ;-).


    Chris

    Noch ein kleiner Nachtrag zum Thema aus meinem Blog:


    Ich wollte eigentlich schon seit einer Weile wieder mit dem aktuellen Anime-Gucken aufhören, und mich anderen ("rückständigeren" ;-)) Dingen und Projekten widmen. Und das durchaus mit gutem Grund. So hatte ich zumindest stückchenweise ein paar wirklich schlechte Serien voll mit Haudrauf und Standardmustern gesehen, was mich in der Vermutung bestärkt hat, daß das Finden von guten und herausragenden Serien in dem ganzen Genre-Komplex ein äußerst schwieriges Unterfangen ist - besonders, wenn man sich von der Massenschwemme an Serien fernhalten will. Irgendwelche Ranglisten helfen mir da auch wenig. Ich habe aber den Eindruck, daß man sich wirklich auf die kürzeren Serien mit 10 - 13 Folgen beschränken sollte, je länger eine Animeserie, desto größer oft der Klischeekram.


    Ohne technologische "Einschränkung" könnte man sich IMO in jedem Fall schnell in Unmengen und Massen verzetteln, in denen dann selbst die Perlen untergehen würden. Wenn man auf größere Anime-Webseiten mit Bewertungen guckt, dann fällt da schon mal auf, daß weniger beliebte Serien in den Ranglisten auch mal "etwas weiter hinten" auf Platz 4.800 stehen können (in Worten: Platz viertausendachthundert). Das sagt ja auch viel über die schiere Masse aus. Mancher Fan scheint auch tatsächlich digitalisiert 20+ Serien pro Woche und auch mehrere Folgen pro Tag zu gucken, nur um up-to-date zu sein. Meh. Das würde mir persönlich jede Freude und Interesse an dem Thema nehmen. Wie schon an anderer Stelle geschrieben: ich kann nicht nachvollziehen, was reine Quantität mit einer Liebe für das Genre zu tun hat.


    So gesehen war es also definitiv an der Zeit für eine längere Pause. Es gab aber noch eine Serie auf meiner Liste, die ich schon mehrfach mit Lob überschüttet gesehen hatte, und die mit 11 Folgen Lauflänge eigentlich auch nicht zuviel Zeit und Band in Anspruch nehmen sollte. Die Reviews dazu online zeigten oft eine ziemliche Eloquenz und Emotionalität, was immer ein gutes Zeichen ist. Auf der anderen Seite fand ich eine kurze Beschreibung und vor allem das Genre "Drama" weniger ansprechend. Drama in einem Kinderprogramm mit großäugigen Figuren? Aber sei es drum. Ich hatte die Serie als Abschluss für meinen kleinen Ausflug in die japanische Zeichentrickwelt noch eingeplant. Und ich muß sagen, es war eine gute Entscheidung, nicht mit irgendwelchem 08/15-Battlemysuperpowersmegafight-Kram, sondern mit dieser feinen Perle (oder sollte ich sagen Blume) aus dem Jahr 2011 einen Ausklang für meine Beobachtungen zum Genre zu finden.


    Ich spreche von einer Serie mit dem prägnanten und sicher leicht zu merkenden Titel "Ano Hi Mita Hana no Namae wo Bokutachi wa Mada Shiranai" (oder kurz Anohana) Auf Englisch lautet der Titel "We Still Don´t Know the Name of the Flower We Saw That Day". Allen, die jetzt denken, so einen langen Quark kann man sich doch eh nicht merken, sei gesagt: wenn man die Serie gesehen hat, vergißt man sie oder den Titel IMO nicht mehr. Nicht mal den Japanischen.


    Was soll ich sonst dazu sagen? Wow. Das Ding ist verdammich gut. Was gar nicht mal bedeutet, daß die Serie in sich perfekt und ohne Fehler ist (sowas würde ich ja dann schon wieder nicht mögen). Im Gegenteil: es gibt Plotlöcher, es gibt manipulative Szenen, es gibt einen Überschwall an asiatischer (?) Emotionalität, der auf westliche Zuschauer wohl durchaus befremdlich wirken kann bzw. bisweilen auch an den Rand der Lächerlichkeit geht. Es gibt keine 2 Minuten in die erste Folge einen grenzpädophilen Sexgag, der einen fast zum Abschalten bringt. Und bei "nur" 11 Folgen hat man auch etwas den Eindruck, daß zwei oder drei Folgen mehr für ein etwas runderes Erzählen auch nicht geschadet hätten. Hey, sogar die Animation ist für eine aktuelle Serie von 2011 eher "schwach", und wäre so auch schon vor Jahrzehnten machbar gewesen. But I like it.


    Warum zähle ich die Serie trotz dieser nun harsch klingenden Kritikpunkte mit zu den brillantesten und bewegendsten Dingen, die zumindest ich jemals im Zeichentrickbereich gesehen habe? Warum ist es eine Serie, bei der man durchaus verstehen kann, wenn Menschen sagen, das Anschauen hat ihr Leben verändert/bereichert? Warum geben erwachsene Leute (wenn auch anonym) online zu, Rotz und Wasser geheult zu haben, wo die Figuren doch nur Striche und Linien sind? Schwer zu sagen. Anohana ist definitiv mehr, als die Summe seiner Teile.


    Ich will nun gar nicht viel zur Handlung sagen, man soll vielleicht so unvorbereitet wie möglich an die Sache herangehen. Die Genre-Zuschreibungen, die herumgeworfen werden, sind oft irreführend, weil eine gute Serie vieles gleichzeitig sein kann. So fand ich auch bei dem durchaus komplexen "Tasogare Otome" die Kategorisierung Horror/Ecchi schon irreführend, obwohl beides drin ist. Aber auch soviel mehr. Bei Anohana geht prinzipiell um das Thema Tod, was ja in westlichen Trickserien meist gemieden wird (oder aber wie gerne bei Disney mit Alles-wieder-gut-Wundern beschönigt wird). Bruchbach-Leser wird die Serie vielleicht auch an Episode 157, "Drei Spürnasen und der Rote Spiegel" aus Staffel 8 erinnern, speziell an den melancholischen Schluss. Was aber natürlich Zufall ist bzw. eventuell mein Interesse am Thema zeigt.


    Da würden mich nun auch wieder die Meinungen anderer Zuschauer interessieren, gerade von solchen, die nicht als irgendwelche "Mega-Fans" im Genre stecken, sondern dem japanischen Zeichentrickschaffen eher kritisch gegenüber stehen. Bin ich auf meine alten Tage zu weich geworden? Falle ich hier zu sehr auf emotionale Manipulation herein? Sollte ich aktuelle Serien generell schlecht finden, weil sie nach 1979 produziert sind - und auch noch in Farbe? ;-)


    Vielleicht mag ja mal jemand einen Blick auf die Serie werfen und mir Auskunft zu obigen Fragen geben. Eine deutsche Synchro gibt es meines Wissens nach nicht (was wohl auch gut so ist) und eine japanische Version mit Untertiteln sollte ein moderner Mensch sicher online finden. Wobei bei den Untertiteln wohl auch mehrere Versionen kursieren, und nicht jede Übersetzung gleich gut ist. Mit den Untertiteln auf meiner Version was ich aber zufrieden. Hier einfach nochmals der vollständige Titel der Serie: "Ano Hi Mita Hana no Namae wo Bokutachi wa Mada Shiranai".


    Ansonsten wünsche ich allen Lesern Frohe Ostern.


    Chris

    Was mir generell noch bei Animes aufgefallen ist, ist, dass ich noch keinen Anime gefunden habe, der Bezüge zur (Tages)politik besitzt. Vielleicht verstehe ich die Anspielungen nur nicht, weil ich mich dazu in der japansichen Kultur zu wenig auskenne, oder vielleicht werden die Serien mit solchen Bezügen einfach nicht über Japan hinaus bekannt, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie hier qualitativ nicht mit den amerikanischen Serien mithalten können.


    Ich denke, daß Anime in der Regel eher mit Alltagsflucht, als mit gezieltem Alltagskommentar zu tun haben. Eventuell gehört es auch wieder zur Mentalität im Land, daß konkrete politische und soziale Ereignisse nicht (oder nur selten) über dieses Medium kommentiert werden.


    Zumindest ich kenne im Anime auch keine "tagesaktuelle" politische oder soziale Satire oder Gesellschaftsspiegel im Stil von Simpsons oder South Park. Es könnte aber natürlich sein, daß diese sehr speziellen Serien dann außerhalb Japans kaum bekannt sind, weil sie ein internationales Publikum nicht ansprechen würden.


    Was man aber natürlich im Anime findet, sind unterschwellige Befindlichkeiten aus dem Alltag. So ist Japan halt ein Land, daß immer wieder von Katastrophen betroffen ist, was sich in den vielen Zerstörungen (und dem Sieg über die Zerstörung) im Anime oder auch in Monsterfilmen widerspiegelt. Daß die soziale Gemeinschaft und deren "Ehre" und Erfolg über dem Individuum stehen ist wie gesagt auch ein häufiges Muster.


    Last but not least beziehen Anime ihre Inspiration IMO oft auch aus dem Spannungsfeld zwischen alter Religion und Fortschritt. Einerseits sind das Land und die Natur im Shintoismus heilig, andererseits brachte der Fortschritt auch immense Umweltverschmutzung und Zerstörung der kleinen Landfläche. Der Fortschritt wird einerseits gebraucht, andererseits widersprechen seine Folgen und das Verschwinden des "Alten" der Tradition.


    Über die Ursachen für Konzepte im japanischen Film und Anime könnte man vermutlich Bücher schreiben. Generell erscheint es mir so, als hätten die realitätsflüchtenden Handlungen zwar oft wenig mit Alltagskommentar zu tun, dafür aber sehr viel mit unterschwelligen Befindlichkeiten und "Konflikten" wie z.B. Fortschritt und Technologie vs Tradition und Religion.


    Und gerade das kann auch eine gute Grundlage für wirklich fantasievolle und inspirierte Dinge sein, kann aber natürlich auch die seltsamsten Blüten und Klischees treiben.


    Chris

    Woo-hoo, jemand hat den Text tatsächlich gelesen ;). Ich hatte schon befürchtet, ich habe ihn wirklich nur für mich geschrieben, um ein paar Gedanken zum Thema darin zu sortieren.


    Es hat sicher einen großen Effekt, wenn man mit den Serien aufgewachsen ist. Dann sieht man über viele Dinge und Klischees hinweg und betrachtet sie als gute Freunde aus der Kindheit. Im Grunde hat man es dann einfacher, weil man sich gar nicht soviele (unnütze?) Gedanken darüber macht, warum man bestimmte Animeströmungen und Ideen plötzlich gut findet. Wie gesagt, in meiner Kindheit gab es das Phänomen so noch nicht (ich bin jetzt 36) und Anime waren immer eher Exoten im Cartoonprogramm. Später war ich dann auch immer skeptisch, weil ich das "erwachsene" Programm dann mehr bei Simpsons & Co gesucht habe.


    Und es gibt einfach auch ideologische Sachen, die mir in den Klischeemustern vieler Anime nicht gefallen, eben z.B. das Kämpfen und "aufleveln" bzw. die generelle Idee, daß nur der starke Held durch Training gewinnen kann (was bisweilen dadurch abgemildert wird, daß es auch mit Selbsterkenntnis bzw. einer Erkenntnis von Bescheidenheit beim Helden einher geht). Es ist auch Teil der japanischen Mentalität, daß sich der Einzelne immer in die Gemeinschaft und Leistungsgesellschaft einfinden soll - auch das findet man als Grundmuster desöfteren. Alles nicht so ganz mein Geschmack. Von diversen anderen Standardmustern, die Serien oftmals recht vorhersehbar bzw. Charaktere "flach" machen (wie z.B. das "Harem"-Muster => alle weiblichen Charaktere verlieren ihre eigene Agenda/Absichten und wuseln als verliebte Helfer um den Helden herum) mal ganz abgesehen.


    Okay, ich bin wohl wieder sehr kritisch. Ich kenne auch Leute, die es wirklich kategorisch ablehnen, Animeserien zu schauen, da für sie alle Serien sowieso nur "entweder Heidi-Kitsch oder Tentakelsex" sind. Aber gut, ich habe mich jetzt durchaus vom Gegenteil überzeugt, denn zwischen diesen beiden Extremen gibt es doch eine große Bandbreite. Wenn eine Animeserie gut gemacht ist, kann sie durchaus ein Triumph an Kreavitität, Inhalt, Komplexität und Fantasie(anregung) sein.


    Von Elfenlied habe ich die ersten Minuten der ersten Folge gesehen, das hat mir gereicht. Eine Serie wird nicht dadurch "erwachsen", daß sie mit Gewalt, Blut und Nacktheit um sich wirft.


    Konkret empfehlen kann ich wie gesagt "Tasogare Otome x Amnesia", weil die mit vielen Standardmustern oft ironisch bricht. Es gibt keine Kämpfe, kein kitschiges lovey-dovey (dafür ist der weibliche Hauptcharakter viel zu egoistisch-hedonistisch) und trotz der ghost story zieht sich ein nicht-mystischer Pragmatismus durch die ganze Story bis hin zum Ende von Folge 12. Und trotz allem ist es emotional bewegend.


    Chris

    Um mal wieder etwas zum Forum beizusteuern, hier ein "kurzer" Beitrag aus meinem Blog mit allgemeinem Animationsthema. Ich weiß nicht, ob es hier für jemanden von Interesse ist. Wer mehr vom folgenden Thema versteht, als ich (und dazu braucht es nicht viel) kann mich gerne korrigieren.


    Hier also ein längerer Textbeitrag in hoffentlich guter CP-Faseltradition. Mal sehen, ob jemand das eher ziellose Gefasel auch bis zum Schluß durchsteht. Wenn mir selbst schon nichts Kreatives zum Seriengeschäft mehr einfällt, sehen wir uns doch mal an, was anderen Leuten (selbst in der heutigen Zeit) im Animationsbereich noch so einfällt. Und ich werde vielleicht (vielleicht) sogar irgendetwas dezent Nettes über das 21. Jahrhundert dazu sagen können.


    Werfen wir also mal einen Blick auf ein Thema, daß in gewisser Weise ja schon öfter vorkam: die modernen japanischen Zeichentrickserien bzw. Anime mit all ihren seltsamen Blüten und vielfältigen Themenspektren. Ich gebe zu, daß mich gewisse Aspekte des Themas einerseits interessieren, ich viele Aspekte des Massenphänomens andererseits aber auch sehr (zeitgeist)kritisch sehe.


    Nun ist Anime-Fandom in der heutigen Zeit natürlich ein beliebtes Modephänomen geworden, und 12-jährige Naruto-Fans und RTL2-Gucker sind automatisch die größten Anime-Experten und nennen sich dann halt Fuchikochi-San und Mukihiro-Chun auf hippen Fanboards (was natürlich besser klingt als Lieschen Müller aus Bottrop). Alles hübsch bunt, grell, hektisch, kommerzialisiert, "sexy" und am Besten natürlich medial in Massen verfügbar. Ein Blick auf angesagte Fanfiktion zu derlei Serien dürfte einen vermutlich an der Menschheit verzweifeln lassen. Eigentlich sollte ich also einen großen Bogen um die Sache machen, um nicht der Zuwendung an den etablierten Zeitgeist verdächtig zu werden ;-).


    Anime-Fandom ist somit sicherlich ein sehr typisches Popkultur-Phänomen des 21. Jahrhunderts. Und damit meine ich sogar weniger den oft kunterbunten und HD-digital gestützten Stil moderner Serien, sondern mehr deren Massennatur und Omnipräsenz. In einer japanischen TV-Season werden jedes Jahr Dutzende neuer Trickserien produziert (darunter sicherlich viel Reißbrett und Fließband) und zu Hunderten und Aberhunderten bestehender Serien hinzugefügt. Die ganze Sache ist somit natürlich stark von Klischees und Standardschablonen beeinflußt. Welche echte Chance auf Bedeutung und Substanz hat da noch die individuelle Serie, Folge oder Charakter? Wobei Letzteres natürlich auch besonders schwer ist, weil Charaktere oft auch noch fast gleich aussehen, klingen und in stereotype Schablonen und Plotmuster gehören.


    Und stereotype Plotmuster heißt dann gerne mal pubertäre Allmachtsfantasien, kalkulierte "Erotik", Kitsch, scheppernde Kämpfe mit Robotern und mystischem Zeugs, Krachbumm und Zerstörung. Charakter x und y stürzen sich Folge für Folge in kurze Röcke und coole Kämpfe mit und gegen mystische/technische Superkräfte. Nachdem sie den mächtigen Megaflup besiegt haben, wird er ihr Verbündeter (+/- 20 andere Nebencharaktere) und es gibt noch mehr Kämpfe. Dann suchen x, y und Megaflup nach dem gar mystischen Artefakt von Schmu und nutzen das Artefakt, um nach noch mehr Kämpfen den ultimativen Final Battle zu bestehen, und dank mystischer Transformation zu gewinnen (nicht ohne sich vorher kitschig ewige Liebe und Kampfestreue zu schwören). Und weil beim vorigen Kampf nur 10 Straßenzüge zerstört wurden, werden jetzt 25 Straßenzüge und ein Nudelrestaurant zerstört, weil es ja um das Schicksal aller 57 Universen geht. Bam. Das mag jetzt satirisch übertrieben sein, aber die Reißbrettproduktion sieht vielleicht zum Teil immer noch so aus.


    Man liest in entsprechenden Foren zwar gerne auch mal emotionale Versprechen, etwa daß ein Zuschauer diesen oder jenen Charakter für wirklich einzigartig hält, oder daß eine Serie unglaublich beeindruckt hat ("The ending moved me deeply, and will stay with me forever..."), aber ich habe wegen der Massennatur einfach auch meine Zweifel an solchen Aussagen. Wenn man 400 Serien entstofflicht auf der Festplatte hat, und jede japanische TV-Season kommen 78 Serien neu dazu, welche Chance auf Dauerhaftigkeit hat eine solche Aussage?


    Vielleicht tue ich den modernen Zuschauern und ihrem Rezeptionsverhalten ja auch Unrecht, aber es erscheint mir zumindest schwierig. Ich erinnere mich an eine Aussage, die zur Simpsons-Folge "Lisa´s Substitute" von 1990 in der Capsule steht - "I laughed, I cried, it became part of me." Kann man so etwas über moderne Trickserien und speziell japanische Massenproduktionen überhaupt noch sagen? Oder sind es ausgerechnet japanische Serien, die noch das Potential haben, überhaupt Subtext und Tiefe und Inspiration zu haben?


    Einerseits ist die große Menge an Serien und Themen ein gewisser Garant dafür, daß auch kreative und ungewöhnliche Ideen dabei sind, andererseits werden die einzelnen Folgen durch den Massen-Output dann wieder zu einzelnen Tropfen im Ozean der Massenverfügbarkeit. Das ist IMO das große mediale Dilemma des 21. Jahrhunderts.


    Früher in Kindheitstagen war mir eigentlich auch nie viel an Anime-Kram gelegen. Das waren halt diese komischen Serien mit den bunten Glubschaugen-Figuren und kalkuliertem Niedlichkeits-Kram und Kindchen-Schema, bei denen die Animationen sehr simpel waren, und sich Charaktere oft vor völlig statischen Hintergründen bewegt haben, oder Szenen und Hintergründe x-mal recycelt wurden. Kostengünstige ZDF-Auftragsarbeiten der 70er Jahre wie Heidi, Biene Maja oder Sindbad waren mir auch in jungen Jahren immer eher verkitscht-suspekt. Später lag mein persönlicher Trickserienfokus dann auch mehr bei US-Material wie He-Man, Turtles, Defenders of the Earth, Galaxy Rangers, Brave Starr oder was auch immer (Tele 5 spielregelte seinerzeit). Ein paar dezente "Grenzgänger" wie Saber Rider oder Captain Future waren zwar dabei, aber die orientierten sich doch eher an westlichen Stilen und Sehgewohnheiten.


    Mit Mangas konnte ich nie etwas anfangen - und kann es bis heute nicht. Die Überstilisierung, schwarzweiße Hektik und auch die umgekehrte Leserichtung stören mich. So ist das halt, wenn man comicmäßig meist mit Disney und Barks, Rolf Kauka und frankobelgischem Kram aufgewachsen ist. Vor Jahren wurde mir mal nahegelegt, daß ich mir doch "Neon Genesis Evangelion" als Anime auf Schnickschnackscheiberei ansehen soll, die Serie wäre ja voll komplex und genial. Tja, auch dazu fehlte mir wieder mal der Zugang, ich fand die ganze Serie eher befremdlich, als irgendwie bewegend oder ansprechend. Gerade auch die ständige Übersexualisierung von 14-jährigen Kindern fand ich arg obskur. Mit dem ganzen RTL2-Merchandise-Kram Marke Yu Gi Oh, Pokemon, Naruto und Co (oder was immer gerade läuft, ich habe ja keinen Fernseher) kann ich auch nix anfangen.


    Tja, aber was will ich nun eigentlich sagen? Oben schreibe ich von einem gewissen Interesse am Thema Anime, danach lästere ich nur darüber, wie wenig mir die Serien, ihre Massennatur und ihre Klischees zusagen, und wie befremdlich vieles daran ist. Warum verkrieche ich mich dann nicht einfach in der Vergangenheit, und gucke olle US-Cartoons aus den 50er Jahren, um nicht von der Gegenwart belästigt zu werden? Es gibt doch so viele kreative und gedanklich fordernde Möglichkeiten, einen Koyoten in eine Schlucht fallen zu lassen ;-).


    Was mein Interesse zu dem Thema verspätet geweckt hatte, waren vor einiger Zeit sicherlich die Filme von Hayao Miyazaki: Das Schloß des Cagliostro, Nausicaa, Mein Nachbar Totoro, Laputa (ein etwas ungünstiger Name für den spanischen Markt ;-)) und andere mehr. Das waren Filme, die zeigten, daß es im japanischen Zeichentrickfilm auch um andere Dinge gehen kann, als konstruierte Niedlichkeiten, heiße Unterhöschen und Superkämpfe angefüllt mit pubertären Allmachts- und Sexualfantasien. Da war plötzlich ein echter Subtext, eine poetische Qualität und Kreativität, und der seltene Aspekt, daß ein Trickfilm/Trickserie immer auch mehr sein kann, als die Summe seiner Teile. Es kam mir natürlich sehr entgegen, daß diese Filme alle aus den 70er und 80er Jahren stammen, und ich könnte die bequeme Schlußfolgerung ziehen, daß früher einfach alles besser war.


    Vor einer Weile wollte ich mir aber auch mal einen Blick auf den gerade aktuellen Output japanischer Serienproduktion gönnen, sprich auf die Season 2012 und ihre Serien. Das ist natürlich hilfreich, um die aktuelle Situation einzuschätzen, und sich eine Meinung zu bilden. Es ist ja wohl auch so, daß das RTL2-Programm nicht repräsentativ ist, da wirklich gute Serien vermutlich kaum nach Deutschland kommen. Man muß dazu also tatsächlich zum oft gewöhnungsbedürftigen Originalton mit englischen Untertiteln greifen (und hoffen, daß diese einigermaßen korrekt sind). Man lernt zumindest Japanisch dabei. So kenne ich jetzt das japanische Wort für Idiot ("Baka") - es wird in vielen Serien gerne und häufig verwendet.


    Ich wollte bzw. konnte auch keinen digitalen Massenkonsum anfangen, sondern einfach mal einen stichprobenmäßigen Blick auf aktuelle Hypes, Geheimtipps oder zufällige Genre-Auswahl werfen. Dafür braucht man natürlich keine aktuelle Technik, das geht auch mit 20 Jahre alter Technik ganz ohne Probleme. Würde mir jemand glauben, daß ich Folgen auf Magnetband habe? Oder kein Gerät neuer als 1996 zum Gucken brauche? Zum Teil habe ich nur kurz reingeguckt, ganz komplett habe ich mir am Ende dann drei Serien von 2012 angesehen (wobei eine davon als "Ecchi"-Serie dann doch so peinlich ist, daß ich sie namentlich nicht erwähnen möchte - obwohl es sogar in dem Genre so etwas wie Handlung und Charakterisierung gibt. Man fasst es nicht ;-))


    Die erste ausprobierte Serie war gleich mal enttäuschend, zumal sich um diese noch eine Riesenhype als angeblich beste (?) Anime-Serie aktueller Jahre gedreht hat. Ich meine die mit 25 Folgen IMO völlig überdehnte "Sword Art Online". Eine gewisse Glorifizierung moderner Technik und digitalen Fortschritts ist ja gerade in Japan üblich, aber SAO funktioniert auf so vielen Ebenen nicht wirklich. Die Mentalitäten und Ideologien hinter der Story sind IMO fragwürdig und manipulativ, die meisten Hauptcharaktere relativ flach und unsympathisch, die Dialoge oft unglaublich kitschig und schwülstig. Die Serie nimmt sich einerseits wohl äußerst wichtig, ist auf der anderen Seite aber randvoll mit Stereotypen, Logikfehlern und Plotlöchern. Meh.


    Trotz der "Gewichtigkeit" wirkt es auf mich, als wäre bei SAO fast alles nur Oberfläche und fast nichts Subtext oder Tiefgang. Die prinzipielle Idee von wirklich fantastischen Szenarien wird völlig banalisiert und trivialisiert, es fehlt einfach an "sense of wonder". Es mag an mir (und meiner Technologiekritik) liegen, aber wenn das wirklich die beste Serie des Jahres sein soll, dann fehlt mir wieder der Zugang zum Genre. Sogar die ziemlich schräge Ecchi-Serie war mir sympathischer.


    Eher durch Zufall fand ich dann aber doch noch eine Serie, die ich weitaus ansprechender und visuell und inhaltlich kreativer fand, und die mit den in Japan so üblichen 12 Folgen (inoffiziell 13 Folgen) auch nicht überdehnt ist: "Tasogare Otome x Amnesia" bzw "Dusk Maiden of Amnesia". Ich hatte zuerst gezögert, weil die Serie als Horror klassifiziert war, und japanischer Horror ja dafür bekannt ist, oft ziemlich derb zu sein. Die Einstufung war eher falsch. Es ist zwar eine Geistergeschichte, aber eine, die auch mit Humor und Tiefgang die Konventionen des ganzen Genres (und des Aberglaubens an sich) dekonstruiert und von einem gewissen Pragmatismus zum Thema durchdrungen ist. A ghost story to end all ghost stories sozusagen.


    Und bevor ich betone, daß diese Serie anders als andere Anime-Serien (oder die klischeebeladene Massenproduktion) ist: Ja, es kommen einige sexuell überladene Storyelemente vor. Ja, es kommen einige kindische Gags über große und kleine Oberweiten vor. Ja, es gibt Stereotypen und einen nervig-schrillen Nebencharakter. Ja, die eigentliche Handlung und das "Mysterium" an sich sind nicht sonderlich kompliziert bzw. mit manch Plotlöchern, und man kommt schnell auf die Antwort. Ja, es gibt schwache Folgen und einen merklichen Durchhänger um Folge 5 und 6 herum. Und dennoch...


    Im Unterschied zur Oberflächlichkeit von SAO gibt es eine ganze Menge Subtext zu einer Vielzahl von Themen und komplexen Fragen der Welt wie Wahrnehmung, Kommunikation, Mythenbildung, Erinnerung, Isolation, Einsamkeit, Verdrängung, Wurzeln von Angst und Aberglauben, speziell natürlich des Glaubens an Flüche und anderes Unheil in Japan. Dekonstruktion von Aberglauben und die Wurzeln und Folgen von Furcht und Irrationalität sind ein roter Faden der Handlung.


    Und obwohl es nicht die Hauptlinie der Handlung ist, sind die Themen Realität, Wahrnehmungen und Kommunikation stets im Subtext präsent. Daneben gibt es noch eine echte Charakterhandlung, Humor und eine wunderbare visuelle und akustische Umsetzung (jepp, die visuellen Möglichkeiten im 21. Jahrhundert sehen möglicherweise etwas besser aus, als in den 70er Jahren im ZDF-Anime). Mit Musik und Songs im Anime habe ich wegen oft piepsendem J-Pop auch Probleme, aber hier ist es akustisch sehr gelungen - der Abspannsong klingt IMO sogar etwas nach Tim Burton.


    Und trotz einiger Standardmuster gibt es genug Abweichungen vom Schema F. Das ist z.B. meine erste Animeserie, in der die Schule der Charaktere kein grauer Glas-Beton-Klotz ist, sondern eine verfallene und verwinkelte Bruchbude (die auch metaphorisch zu sehen ist). Gerade das Alte wird als erhaltenswert betont. Der Fokus bleibt auf nur vier Charakteren, wir haben also nicht mal eben +/- 20 Nebencharaktere nach den ersten 3 Folgen. Was auch gut so ist, wie die relativ mißglückte Folge 6 zeigt, alle anderen Nebencharaktere scheinen nämlich "Baka" in Reinkultur zu sein.


    Visuell wird einerseits ein verwinkelter und verschrobener Realismus betont, andererseits hat das Szenario stets einen traumartigen Nebenklang, wie z.B. der seltsam "flache" Mond am Himmel. Eine dezent unwirklich-surreale Atmosphäre durchdringt die ganze Handlung, trotz ihres Pragmatismus. "It was all just an illusion..." sagt ein Charakter ganz am Ende der Serie (nur um kurz darauf festzustellen, daß es doch nicht so einfach ist). Ein "sense of wonder" ist für mich jedenfalls weit greifbarer, als in den Technikhuldigungen und Kloppereien anderer Serien. Das mag ein etwas schwammiger Begriff sein, aber er kommt mir als Mangel bei "SAO" und als Lob für "Tasogare" am ehesten in den Sinn.


    Ganz am Rande: ein ungewohnter Aspekt der japanischen Kultur tritt im Originalton hier auch noch deutlicher zutage: die Charaktere sprechen sich in der Regel stets mit Nachnamen an, auch wenn sie Freunde sind (der Nachname wird ja auch zuerst genannt). Jemandem direkt mit dem Vornamen anzusprechen, braucht schon besondere Gründe, und ist ansonsten ein sozialer Fauxpas bzw. wird mit Irritation auf diese Bitte reagiert. Aber sei es drum. Ich spreche einfach mal eine kleine Empfehlung für die Serie aus. Der Titel nochmal: "Tasogare Otome x Amnesia" bzw "Dusk Maiden of Amnesia". Für den modernen Menschen sollte das Rankommen an Folgen ja kein Problem sein. Es gibt offiziell 12 Episoden, inoffiziell noch eine 13. Episode, die aber ziemlicher Quark ist und ignoriert werden kann.


    Natürlich gibt es auch zu dieser Serie wieder online bewegte Meinungen wie "The atmosphere of episode 12 will haunt me forever..." aber wie gesagt: mit Blick auf die mediale Überflußgesellschaft sehe ich solche Aussagen immer skeptisch. Vielleicht gibt es am Ende doch eine Chance dafür. Folge 12 hat zumindest IMO alle Qualitäten dazu.


    Nun denn, das sollte als langer Faselbeitrag durchgehen. Etwas nebenher geschrieben, einen Pulitzerpreis gewinne ich damit sicher nicht. Aber egal. Das sollte es jetzt auch zum Thema sein. Vermutlich hat sowieso niemand bis hierher mitgelesen (ganz wie in drts-Tagen) aber mein Faselauftrag ist erfüllt.


    Falls jemand Meinungen zum Thema hat (oder mehr davon versteht, als ich), dann gerne her damit.


    Chris

    Jepp, gibt es. Aber die kann ich hier nicht veröffentlichen, da es aus einer privaten Mail ist. Prinzipiell läuft die Antwort darauf hinaus, daß die Annahme, man könne sich Gott als überlegendes Bewußtsein vorstellen, schon im Prinzip falsch ist und falsch sein muß, weil Gott soweit jenseits von uns Menschen steht, daß man ihn sich eben nicht vorstellen kann. Die Begründung dafür, warum man sich Gott nicht vorstellen kann, ist, daß es eben so ist. Die Schöpfung ist als Wesen zu klein, um sich ein Bild vom Schöpfer zu machen. Für mich eine etwas schwache Begründung, aber ich bin ja auch kein besonders religiöser Mensch.


    Chris

    Zum Thema Religion habe ich gerade einen Blogbeitrag geschrieben. Vielleicht passt er ja auch hier rein, ist sogar ein wenig ontopic wegen eines kleinen Bezugs auf Futurama:


    Hier mal ein etwas anderes Thema für das Blog: Religion und Gott. Es ist ja irgendwie nicht völlig themenfremd, auch bei Bruchbach-Folgen gibt es immer wieder religiöse Themen, siehe z.B. "The Quarkmaker" in Staffel 9 und andere. Wobei mir zum untenstehenden Thema eher die Folge "Time in A Bottle" in den Sinn kommt, denn auch dort spricht Alex von "Bewußtsein von ganz woanders".


    Die folgende Argumentation entstammt eigentlich einer privaten Mail, ich möchte sie aber dennoch auch mal im Blog präsentieren, da der Ansatz IMO nicht uninteressant ist (und es erspart mir weitere Tipparbeit ;-)). Es ist ein Teil meiner Antwort auf einen kleinen theologischen Diskurs, bei der mein Diskussionspartner meinte, daß man an Gott eben keine menschlichen und wissenschaftlichen Maßstäbe anlegen kann. Man kann an die Wissenschaft glauben und man kann an Gott glauben, weil sich beide Bereiche nicht überlappen können und sollen - das klassische NOMA eben. Aus diesem Grund geht mein Diskussionspartner davon aus, daß Leute wie Richard Dawkins falsch an das Thema herangehen und sich in einer Disziplin profilieren, die so eigentlich nicht zulässig ist.


    Nun bin ich definitiv kein Freund von Dawkins Rumgepolter (typischer neumodischer Schnickschnack ;-)), andererseits kann ich mich aber auch mit dem Argument, daß man das Thema Gott "nicht untersuchen können darf" nicht anfreunden. So gerne wie ich in ein technisches Gerät mit all seinen Rädchen und Elektronenröhren reinschaue, um zu sehen, was es zum Ticken bringt, so sehr glaube ich auch, daß man sich im Bezug auf wichtige Fragen an das Universum keine eigenen NOMA-Grenzen auferlegen sollte. Es gibt eine Wahrheit, die wir finden können.


    Daher hier einmal meine Argumentation aus der Mail. Ich weiß nicht, ob sie schlüssig ist oder Blogleser überhaupt interessiert, aber ich stelle sie einfach mal zur Diskussion:


    Du sagst, daß man die Motivationen und das Bewußtsein von Gott als Mensch eventuell gar nicht verstehen kann, weil das Bewußtsein einer Wesenheit von solchen Proportionen jenseits des menschlichen Geistes liegt und daher auch eigenen Regeln folgt. Man muß es einfach als die große Quelle alles Seienden, jeder Inspiration, jeder Unterscheidung von Gut und Böse, als den Geist, der den Gleichungen Leben einhaucht und Physik und Mathematik ihren "Funken" bringt, sehen. Ohne dieses große Bewußtsein über allem gäbe es keine Struktur, keine Mathematik, kein Gefüge der Naturgesetze etc. Wir können Aspekte davon sehen und messen, wir können das Ganze aber niemals technisch erfassen, sondern nur mit dem Glauben wahrnehmen.


    Wir sehen ein "Licht" im Universum, im menschlichen Geist, und in den Gesetzmäßigkeiten der Wissenschaft widergespiegelt, wir sehen aber nie eine Quelle des Lichts, sondern können diese nur fühlen. Und das Gefühl für das Licht ist eine Gabe des freien Willens, und all die schlechten Dinge auf der Welt sind der gerechte Preis, den wir für diese Fähigkeit zum Erkennen bezahlen. Das hast du jetzt nicht alles gesagt, das sage ich. Korrigiere mich einfach, wenn ich dich falsch interpretiere.


    Gegenargument 1: der Gott, der in dieser Konzeption beschrieben wird, ist nicht identisch mit dem Gott der Bibel. Dort ist explizit die Rede von einem menschlichen Gott, der menschlichen Makeln und Denkmustern zugewandt ist, und der auch in menschlichen Kategorien und Zeiträumen argumentiert. "Lasst uns Menschen machen, nach unserem Ebenbild" sagt die Genesis. Gott wandelt am Abend im Garten in Eden, weil ihm am Tag die Sonne zu warm ist etc etc etc. Auch der Stimmungswechsel im Bezug auf die Menschheit in so kurzen Zeiträumen wie zwischen dem Alten und Neuen Testament ist für ein Wesen, das außerhalb der Zeit existiert oder Jahrmilliarden alt ist, eher ungewöhnlich.


    Das logische Problem im Bezug auf allmächtig und allwissend in einem einzigen Wesen hatten wir ja schon angesprochen - wie kann ein Wesen seine komplette Zukunft kennen, und gleichzeitig noch die Macht haben, irgendeine zukünftige Entscheidung zu ändern? Es ist IMO ein kausales Problem und kein Wesen (wie "anders" es auch sein mag) kann sich dem Dilemma entziehen, ohne gegen kausale Vorgaben zu verstoßen, die das Konzept vom "göttlichen Funken" in den Gleichungen mit sich bringt. Die feste Bindung an das Prinzip erklärt aber eventuell, warum sich der Gott in der Bibel auch gerne mal irrt oder Dinge "anzettelt", von denen selbst er dann später zugeben muß (?), daß etwas falsch gelaufen ist.


    Aber genug davon. Mir ist natürlich bewußt, daß ich mit dem Argument in die selbe Falle wie zuvor laufe. Du kannst natürlich sagen, daß ich die Motivationen und Entscheidungen des Gottes im Alten Testament gar nicht mit Begriffen wie ungewöhnlich oder erstaunlich titulieren kann, weil ich das Bewußtsein dahinter nicht nachvollziehen kann. Vielleicht ist der raue Ton im Alten Testament ja nur eine Vorbereitung auf die Gnade Jesu - so quasi als Kontrastprogramm - und Gott wusste, daß die Menschheit irgendwann die richtigen Schlüsse ziehen würde. Wir können diese "göttliche" Denklinie nachvollziehen, und als möglich erkennen. Und das ist ein wichtiger Punkt und führt mich direkt zu:


    Gegenargument 2: du sagst, wir können das Bewußtsein von Gott und dessen Natur eventuell nicht verstehen, weil es zu komplex und zu anders ist, und wir keine menschlichen Maßstäbe anlegen können. Ich sage: wir können das oben in den ersten Absätzen beschriebene Bewußtsein durchaus in seinen Grundzügen verstehen und umschreiben. Und genau das kann ein Indiz dafür sein, daß es letztlich auch nur wieder ein Produkt der menschlichen Vorstellungskraft sein könnte.


    Man kann sich ein unglaublich überlegenes Bewußtsein vorstellen, daß über ein enormes Potential für Multitasking verfügt. Das Bewußtsein kann jedes Elementarteilchen erfassen, es kann jede Möglichkeit für physikalische Interaktion innerhalb der gültigen Naturgesetze sehen, es kann Parameter verschieben und anpassen, es kann Freude empfinden, wenn ein bewußtes Leben (alles bewußte Leben) glaubt oder sucht oder Entscheidungen trifft. Alle Informationen können so in einem einzigen Geist empfunden werden und dort zusammenfließen. Wir können zwar das dafür nötige Denkpotential nicht im geringsten nachbilden, wir können uns aber das prinzipielle Konzept eines solchen Bewußtseins vorstellen. Im Prinzip können wir uns durchaus auch fragen, wie die Motivationen in einem solchen Bewußtseins gestaltet sein könnten, z.B. warum es einen Teil seiner Aufmerksamkeit einer einzelnen Ameise widmet, während es doch irgendwo anders eine coole Explosion zu beobachten gibt.


    Wenn du Argumente dafür suchst, warum wir Fragen nicht beantworten können bzw. warum diese jenseits der messbaren Wissenschaft liegen, machst du dir ja auch eine Art von Konzept von der Andersartigkeit Gottes und bringst ihn damit in eine einsortierbare Kategorie (und wenn es die Schublade "Jenseits der Wissenschaft" ist). Wenn du eine Antwort auf die Theodizee-Frage gibst, dann beantwortest du ja auch das "unbeantwortbare" Produkt einer völlig anderen Bewußtseinsform. Oder können wir uns aussuchen, welche Aspekte von Gott beantwortbar und welche unbeantwortbar und übergroß sind? Nach welchen Kriterien geschieht dieses Aussortieren?


    Vielleicht ist Gott ja eine große, bunt blinkende Galaxie, die für sich genau die richtige Balance an Einfluß gefunden hat: if you do things right, people won´t be sure you´ve done anything at all. Das ist kein großes theologisches Konzept, aber es wäre auch eine Form von Erscheinung für einen Gott, der nichts mit dem hebräischen AT-Haudrauf zu tun hätte. Der Punkt ist: wir können uns innerhalb unserer Fantasie grundlegende Konzepte von überlegenen Bewußtseinen vorstellen, die Gott sein könnten, darunter auch Bewußtseine, die in ein Muster passen, daß man üblicherweise mit "jenseits menschlichen Verstehens" bewerten würde. Und weil wir uns diese Bewußtseine vorstellen können, ist es eventuell wieder fraglich, ob sie tatsächlich ein reales Wesen umschreiben, oder doch nur wieder fiktive Konzepte sind, die wir uns ausmalen, um uns ein völlig überlegenes Wesen vorzustellen.


    Gerade weil wir die grundlegenden Konzepte für überlegene, kosmische Multitasking-Wesenheiten erdenken können, kann das bedeuten, daß die Wesenheiten eben doch nicht real sind, sondern menschliche Konzepte, die uns bei der Suche nach der Erklärung des "Unerklärbaren" dienen. Wir können uns ein Konzept für Gott ausdenken, und das ist IMO etwas, daß wir für ein real existierendes, Milliarden Jahre altes Wesen, das außerhalb von Raum und Zeit und Evolutionsbiologie steht, so eventuell nicht könnten. Ergo: ein Gott, der sich im menschlichen Bewußtsein als überlegenes Konzept erdenken lässt, ist eventuell nicht real. Wenn man etwas mit dem Glauben wahrnimmt, sich aber dann doch eine reale Vorstellung davon macht (wie überlegen und anders diese auch immer sein mag), dann limitiert man IMO die Chancen, das dieses "Etwas" tatsächlich jenseits der Reichweite menschlicher Interpretation liegt.


    Chris

    Man glaubt es nicht, ein längerer Bruchbach-Beitrag aus meinem Blog:


    Mir ist natürlich bewußt, daß einige Leser auf Bruchbach-Nachschub warten und über irgendwelchen Retro-Kram, Kommerzialisierung und 16-Bit-Screenshots im Blog eher irritiert den Kopf schütteln. Es fehlen auch tatsächlich nur noch zwei reguläre Folgen, aus denen man dann in den Dreiteiler übergehen könnte, der das Serienfinale bilden würde. Nun alles früher "abbrechen" ist in dem Sinne IMO auch keine gute Idee, denn die 9. Staffel (bis Folge 180) ist ja so gut wie fertig.


    Wie wäre es mit einer Folge 176, die sich eben gerade mit dem aktuellen Problem beschäftigt - also einer Meta-Reflektion zum Thema Abnutzung von Serien oder Ideenverlust oder generell der Frage, warum eine langlebige Serie nach 175+ Folgen einfach auch zu einem Ende kommen muß, und nicht aus Kommerzgründen etc. überdehnt werden sollte. Ein paar kleine satirische Seitenhiebe auf reale Beispiele sind da durchaus möglich. Das Ganze sollte in eine reale Abenteuerhandlung eingebaut sein, aber eben immer wieder kritische Meta-Bezüge auf Serie und Seriengeschichte aufweisen. Oder auf einer gewissen Ebene auch als Reflektion dazu funktionieren, was die Begriffe Abenteuer und "sense of wonder" heutzutage noch bedeuten.


    Als grober Ansatz hier mal Titel und Anfang der Episode wie folgt:


    176. Die Abenteurer


    Die Folge beginnt im Garten der Dahls. Rick und Mike gehen sichtlich gelangweilt irgendwelchen obskuren Tätigkeiten nach, während Alex auf dem Boden sitzt und mal wieder an einer filigranen Metallkonstruktion herumlötet. Vor ihr liegen zahlreiche Zettel und Notizen, darunter auch die technischen Blätter vom Schluß von Folge 166. Auch verschiedene andere Relikte aus früheren Folgen sind zu sehen. Träge Alltagsszenen in Zeitlupe unterstreichen Ricks Langeweile visuell.


    Schließlich beschwert er sich laut darüber, daß in dieser Stadt überhaupt nichts mehr zu passieren scheint, und er den Eindruck hat, daß gefühlt seit Monaten in seinem Leben nur noch monotoner Alltagstrott herrscht. Alex meint kryptisch, daß dies nur die Ruhe vor dem Sturm wäre, was Rick aber wenig überzeugen kann. Alex entgegnet philosophisch, daß Rick in der Vergangenheit schon so viele Abenteuer am Stück erlebt hat, daß ihn ein normaler Alltagsmensch nur darum beneiden (oder aber bedauern) könnte. Vielleicht ist irgendwann alles aufgebraucht und das Universum ist Rick keine weiteren seltsamen Begebenheiten und Abenteuer mehr schuldig - wobei aber "eins noch übrig ist".


    Rick lässt sich davon aber nicht überzeugen, und erklärt, daß ein geborener Abenteurer wie er immer etwas findet, um dem Alltag ein Schnippchen zu schlagen, und Reichtum und Ruhm zu finden. Was zu beweisen ist. Er bricht dazu in die vor sich hin dösende Stadt auf und schleppt den wenig motivierten Mike mit. Alex gibt Mike noch mit, daß er Rick doch ab und zu daran erinnern sollte, daß beide keine 11 1/2 Jahre mehr alt sind und das Abenteuer nicht mehr unter jedem Stein wartet. Zuerst finden Rick und Mike tatsächlich nur Alltagstrott (Rick ist auch wenig begeistert über Mikes Hinweis, daß gerade Aushilfskräfte in Maybachs Tortenfabrik gesucht werden) aber dann...


    [und hier kommt die Folge]


    Nun stellt sich natürlich die Frage, was nun kommt. Einige Zeit hatte ich mich auch mit der Idee befasst, mal wieder eine reine Abenteuerfolge zu machen, stilistisch dezent in Tradition von Carl Barks und Don Rosa bzw. auch als eine Hommage an die beiden Autoren/Zeichner. Hier käme allerdings wohl wieder eine nicht zu übersehende kritische Diskrepanz mit herein, z.B. zwischen dem handfesten 40er/50er Jahre "sense of wonder" dieser Geschichten und der digitalen Bequemlichkeit und Realität des 21. Jahrhunderts. Um das alte Beispiel zu überstrapazieren: man kann als Abenteurer keine verlorene Stadt des Reichtums mehr suchen, wenn man ihren Standort nur noch im Smartphone eintippen und zoomen muß.


    Als Idee am Rande: Rick und Mike könnten sich in der Stadt interessiert einer Gruppe von mutigen Leuten anschließen, die scheinbar über große Abenteuer reden und Reichtum und Ruhm außerhalb des Alltags suchen, aber am Ende stellt sich heraus, daß es nur um virtuelle Rollenspiele online geht (Bruchbach Zitadelle 2.8 ist gerade auf den Markt gekommen) und der zu findende Ruhm nur aus virtuellen Statuspunkten und digitalen Einkaufsgutscheinen besteht. Anstatt die Abenteuer zu suchen, die Rick für sein Leben braucht, binden sich die Entdecker lieber zwei Smartphones vor die Augen, um die "augmented reality" durch die Displays zu genießen. Ist jetzt vermutlich wieder arg plump und satirisch zu einseitig, aber nur mal als Idee.


    Ein anderes Thema, daß die Folge aufgreifen könnte, wäre auch wieder die Natur fiktiver Figuren an sich. Rick erklärt an einer Stelle achselzuckend, daß ihm an seinem bisherigen Leben absolut nichts Ungewöhnliches aufgefallen ist. Es war zwar immer irgendetwas los, aber das sind halt solche Dinge, die einem passieren. Nicht die Abenteuer und all die seltsamen Begebenheiten (der letzten 9 Staffeln) wären das Ungewöhnliche, sondern die Stagnation und Langeweile der letzten Monate. An anderer Stelle der Folge könnte sich Rick über Charaktere aus diversen US-TV-Serien der 80er amüsieren, in denen immer irgendwelche Privatleute im Wochentakt per Zufall in Kriminalfälle geraten, und dabei gar nicht merken, daß das alles keinen Sinn ergibt, und sie in einem Drehbuchschema gefangen sind.


    Letztlich könnte die Episode aber auch Ricks Sehnsucht nach einem Abenteuer erfüllen, d.h. er und Mike könnten eben wirklich in eine beschwingte und freie Abenteuerstory in bester Barks/Rosa-Tradition geraten, die die Mechanismen der Realität außer Funktion setzt, und beide in ein Rennen von einem Ende der Welt zum anderen schickt, um zusammen mit Professor Archäologicus den zweiten verlorenen Schatz der Futzteken zu finden (und rechtzeitig zu einem festen Termin zurück zu sein, um mit dem Geld das Waisenhaus vor dem Abbruch durch Kapitalisten zu retten ;-)).


    Und am Ende könnte Rick dann erstaunt feststellen, daß Alex recht hatte. Das ist alles nicht normal und vielleicht ist es unvermeidbar, daß es irgendwann ein Ende findet, bevor es noch schlimmer wird. Aber wäre ein Ende in Normalität einer Zukunft voll seltsamer Begebenheiten und "sense of wonder" wirklich vorzuziehen? Das sollte eventuell als offene Frage im Raum stehen bleiben.


    Das wären in Grundzügen ein paar Ideen zu einer Folge 176. Danach fehlt noch eine Folge und dann könnte es dann eben weitergehen mit "Drums in The Deep", "Smoke on The Water" und "Fire in The Sky". Und Staffel 9 und die Serie wären fertig.


    Meinungen und Ideen zu dieser etwas unsortierten Ideensammlung wären hilfreich.


    Chris

    Irgendwie kann ich zum Forum hier kaum mehr etwas beitragen. Aktuelle Simpsons-Folgen kenne ich nicht mehr, und vermutlich gäbe es auch kaum mehr etwas dazu zu sagen. Ich kann also nur noch das machen, wovon ich etwas verstehe ;).


    Hier zwei Screenshots von meinem 386SX25 mit 6 MB RAM, 256 Farben wegen 512 KB Grafikspeicher. Ist IMO ganz nett geworden:




    Chris

    Am Wochenende habe ich mir den aktuellen "Muppets"-Film angesehen. Als Fan der klassischen Serie war mir das sogar wichtig genug, um mir dafür ein Schnickschnack-Notebook zum Scheibendrehen im Büro auszuleihen.


    Leider war das Ergebnis doch arg enttäuschend und hat mich in meinen Vorurteilen gegenüber der Disney-fizierung von Jim Hensons Lebenswerk eher bestätigt. Dabei war ich in letzter Zeit sogar häufiger über aktuellere Produkte mit dem Namen Disney darauf gestolpert, die qualitativ durchaus gelungen waren - seien es nun gewisse Pixar-Filme oder auch die Duck-Arbeiten von Don Rosa. Aber dat mit den Muppets, dat war wohl nix, sorry.


    Von der klassischen Schärfe und dem dezent anarchischen Geist der Serie (oder auch des ersten Films von 1979) war da kaum etwas zu finden. Der Plot mit dem Zusammensuchen der Truppe und dem Auftreiben von Geld zur Rettung des Muppet-Theaters ist doch sehr 08/15. Kreativ rangiert das etwa im Bereich einer Story über eine Schatzsuche, um das Waisenhaus zu retten, und um mehr Laufzeit zu füllen, ist die Schatzkarte in mehrere Teile zerlegt. Meh. Zu dem doch sehr generischen Plot kommt dann noch eine große Ladung Schmalz und zahlreiche Disney-Moralitäten und family values: "Glaub an dich selbst", "Glaub an die Familie", "Werde erwachsen", "Finde deinen Weg im Leben" etc etc.


    Das muß ja nicht aus Prinzip schlecht sein, aber als Gegengewicht dazu sollte dann um so mehr Kreativität, Witz, Esprit, satirische Schärfe, Tiefgang, gute Musik oder sonstwas her. Eine Eigenschaft der älteren Muppet-Filme und der Serie war es IMO, daß die subtile Absurdität oftmals dadurch entstand, daß die Gaststars und die menschlichen Charaktere einfach "normale Menschen" waren und die Muppets wie selbstverständlich so behandelt haben, als wären sprechende Stofftiere etwas völlig Normales. Der aktuelle Film ist aber nur bevölkert von arg überdrehten Stereotypen, Klischees, Pappfiguren, Bonbonfarben, Schmalz, braven Dialogen und jeder Menge Meta-Scherzen.


    Natürlich vermisst man auch die klassischen Puppenspieler und Sprecher. Jim Henson ist schon sehr lange nicht mehr dabei, aber dies ist wohl der erste Film ohne Frank Oz als Fozzie and Miss Piggy. Die Stimmen wirken teilweise doch etwas daneben und generell machen digital wegretuschierte Puppenspielerstäbe und animierte Ganzkörperansichten die Charaktere nicht lebendiger. Gerade Miss Piggy erscheint mir charakterlich auch sehr Disney-weichgespült. Und wenn man schon einen Tribut an die klassische Show machen will, warum sind dann keine Gaststars von damals dabei? Okay, viele davon sind mittlerweile verstorben, aber was ist z.B. mit Harry Belafonte, Elton John, Steve Martin und anderen?


    Der Ansatz, die Diskrepanz zwischen moderner (Medien-)Welt und der klassischen Muppetshow-Welt der 70er Jahre aufzuzeigen, ist zwar nett gedacht, aber das Potential wird IMO kaum genutzt. Wobei auch die originale Show schon ein gewisser Anachronismus war, lagen ihre Wurzeln doch im Vaudeville-Bereich und viele Songs und Nummern hatten ihre Inspiration eher in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Dies machte ja gerade die Besonderheit und den Esprit aus. Dialoge zwischen Kermit und Fozzie hatten in ihrer besten Momenten etwas von Groucho vs. Chico Marx. Auch davon ist im aktuellen Film kaum etwas zu bemerken. Die Satire über die Medienwelt bleibt brav und harmlos, wobei einer der besten Gags vielleicht noch der dicke Junge ist, der Kermit fragt, ob er einer von den "Hero Turtles" wäre.


    Der Film hat sicher seine netten Momente, aber er bleibt für mich eine generische Puppenspielerei. Und wenn dann am Schluss alles gut ist, und im Feuerwerk der Micky-Maus-Kopf aufleuchtet, dann stellt man das auch nur achselzuckend fest. Es gibt eine klassische Folge von 1977, in der die Muppets hinter der Bühne ständig von einem Elch namens Micky Moose belästigt werden (auch sein Freund Ronald Duck taucht auf). Ein genervter Kermit sagt dann am Ende der Folge "See you next time on the Micky....errrr....the Muppet show..." Und was damals als Gag gedacht war, ist nun doch zu einer düsteren Voraussage geworden. Schade. Ich empfehle die Serie oder den ersten Film von 1979.


    Chris

    Als kleinen Nachtrag zum Don-Rosa-Beitrag hier noch eine Beispielseite aus einer seiner Geschichten. Das ist jetzt nur ein kleines Stück und aus dem Kontext genommen (Teil einer Schatzsuchstory, die auch über mehrere Geschichten geht), sowie ohne große zeichnerische Highlights, aber es zeigt IMO ganz gut, wie Rosa an die Charaktere herangeht und wo IMO der Unterschied zu den Fließbandstories Marke LTB liegt. Die ältere Dame ist Scrooges Schwester Matilda McDuck, die 25 Jahre lang nicht mehr mit ihm gesprochen hatte.


    Damals auf NeSp gab es glaube ich einige Leute, die sich aktiv mit dem Thema beschäftigt haben. Von denen ist wohl keiner mehr da.



    Chris

    habe da einige kapitel aus den micky maus comics anfang/mitte der 90er gelesen. und wie sich herausstellt, sind die von diesem don rosa... wenn du die noch nicht gelesen hast, kann ich die dir wärmstens empfählen.


    Jepp, kenne ich schon. Das sind die Stories, die ich im OV-Titel mit "Life and Times of Scrooge McDuck" gemeint habe. Die gibt es auch als dickes Buch mit Hardcover und mehreren Hundert Seiten mit etlichen Nebenstories und Querverweisen.


    Obwohl die Übersetzung gut gemacht ist, kommt auch hier der Originaltext irgendwie besser und atmosphärischer, auch wegen Dialekten etc. Und manche deutschen Charakternamen (wie z.B. "Mac Moneysac") fand ich schon immer etwas daneben.


    Chris

    Ein Beitrag aus meinem Blog, der hier vielleicht auch Interesse finden könnte:


    Vorausschickend gesagt: ich bin kein Experte zum folgendem Thema, sondern eher interessierter Amateur. Erfahrene Donaldisten mögen also dezent den Kopf über nachfolgende Ausführungen schütteln oder sie für so selbstverständlich erachten, daß sie keinen Beitrag wert sind ;-).


    Was ich aktuell ein wenig wiederentdeckt habe, ist mein Interesse für den Duck-Kosmos. Das liegt hauptsächlich an Don Rosa, den ich lange Zeit eigentlich mehr oder weniger ignoriert und Ducksche Qualität hauptsächlich bei Carl Barks gesucht hatte. Ich hatte ja in einem vorherigen Text mal den Vergleich gezogen, daß man die Arbeiten von Barks in etwa mit dem vergleichen kann, was bei den Simpsons zwischen den Ullman-Shorts und Staffel 2 geschehen ist: der Entwicklung von emphatiefähigen Charakteren mit Emotionen und Motivationen aus eindimensionalen und stereotypen Wurzeln.


    Dabei hatte ich durchaus schon öfter gehört, daß auch Don Rosa einen Blick wert wäre und seine Geschichten nicht nur komplexe und fein recherchierte Abenteuer klassischer Prägung wären, sondern auch Tiefgang aufweisen, und nach dem Motto "to explore the inner being of Disney ducks..." geschrieben und gezeichnet wären. Davon war ich aber lange nicht so recht überzeugt. Mit Barks hatte ich Erfahrung, von Rosa kannte ich aber nachgewiesen nur zwei Stories: eine davon war eine Gagstory über das Amulett des "Nostrildamus", in der Donald ständig mit slapstickigen Gefahren beworfen wurde, die andere war ein auch nur semi-amüsantes Stück Unfug über Donald, der mit einem Fischnetz im Weltraum Satelliten einfangen sollte. Beide Stories waren nicht sonderlich geeignet, mich von der Qualität von Rosa zu überzeugen.


    Auch der Zeichenstil war etwas gewöhnungsbedürftig und erschien mir trotz aller Details bisweilen sogar relativ grob. Mit vielen Schraffuren und Überfrachtungen fehlte es mir doch an Dynamik und Schwung, die Barks oft mit wenigen Strichen erreicht hatte. Last but not least schreckte mich auch das Entstehungsdatum etwas ab. Barks hatte seine besten Geschichten in den späten 40er Jahren und besonders in den 50er Jahren geschrieben, und dabei (trotz seiner eher konservativen Einstellung) auch wunderbare Parodien des damaligen American way of life und der Lage der Welt abgeliefert. Die Inspiration für die Abenteuer der Ducks kam häufig aus Zeitschriften wie "National Geographic" und die doch noch kleinere Welt war eine perfekte Bühne für Schatzsuche und sense of wonder. Rosa hatte seine Stories hauptsächlich in den 90ern oder noch später gezeichnet. Das war die Zeit, in der ich zumindest das Interesse an den LTBs verloren habe, weil sich diese inhaltlich immer stärker am schnelllebigen Zeitgeist orientiert hatten.


    Das bezog sich nicht nur auf Kaschperl-Micky & Co, sondern generell darauf, wie "hip" die Ducks und ihre Welt plötzlich zu sein hatten: Tick, Trick und Track mussten kewle Sprüche klopfen, während sich Donald einen Klingelton auf sein Handy lädt und im Internet surft. Der Zeichenstil schien sich auf die Generation Anime und Manga hin zu orientieren. Ohne jetzt wie Klaus aus "Badger" klingen zu wollen (oder vielleicht doch ;-)): das fühlte sich einfach nicht richtig an. Und ohne die Aussage überstrapazieren zu wollen: wenn auch die Schatzsucher im Comic nur noch mit google Earth auf den Zielort hinzoomen müssten, dann fehlte auch dort der klassische sense of wonder. Und selbst an den Nachdrucken älterer Ausgaben wurde massiv rumgepfuscht: kunterbunte Cover for a modern audience, inhaltliche Änderungen, neue Texte. Meh. Wenn schon LTB, dann bitte Originale aus den 70ern. Dann macht auch die italienische Produktion trotz ihrer nicht zu verbergenden Fließbandnatur mit vielen Inkonsistenzen und Schwächen durchaus Spaß, wobei der dortige Zio Paperone eben doch oft nur ein sehr flaches Abziehbild des "wahren" Scrooge McDuck ist.


    Qualitativ mit Barks vergleichen kann man das daher nicht bzw. nur in wenigen Fällen (der Name Romano Scarpa sei aber hier lobend zu erwähnen). Was mich wieder zu Don Rosa gebracht hat, war das Lesen seiner Story "Last Sled to Dawson" in der deutschen Fassung. Das war doch schon deutlich näher an der wahren Sache dran: viele Bezüge und Verwendungen von Barkschen Ideen und Figuren, vor allem auch charakterbezogener Inhalt, in der Dagobert/Scrooge doch mehr zu tun hatte, als nur Stereotyp für den schnellen Geiz- und Hau-den-Donald-Witz zu sein. Im Laufe der Zeit habe ich dann auch das Epos über "The Life and Times of Scrooge McDuck" gelesen, ebenso wie manch andere Abenteuerstories. Und ich muß trotz der "aktuellen" Natur der Sache zugeben, daß ich durchaus beeindruckt bin.


    Ich will auf die Handlungen nun nicht detailliert eingehen, das wäre zuviel. Sehr schön fand ich in jedem Fall die Anwesenheit von düsteren Aspekten, von Scrooges Weg zur dunklen Seite und zur Einsamkeit. Enten müssen nicht nur lustig sein. Wobei auch der Humor brillante Momente hat - IMO eben auch, weil nicht Popkulturhumor und Hipness abzitiert werden, sondern der Humor aus den Charakteren selbst kommt. Man lacht nicht (nur) über die Charaktere, sondern auch mit ihnen. Zahlreiche Filmzitate aus Klassikern tun ihr übriges, sei es nun Citizen Kane, Monty Python oder Charlie Chaplin. Für ein "Produkt" aus der aktuellen Zeit (und vielleicht noch mehr für eines mit dem Namen Disney darauf) wirklich überraschend gut.


    Der negative Effekt ist natürlich, daß man den massenproduzierten Stories ohne Kanon, Kontinuität und echten Charakter noch kritischer gegenübersteht. Und die Storybalance im Duck-Kosmos ist mittlerweile so, daß ein paar Hundert Barks- und Rosa-Stories einer Unmenge von Abertausenden von Billigstories und Schnellschüssen gegenüberstehen. Carl Barks ist tot (im gesegneten Alter von 99 Jahren) und Don Rosa kann ja leider wegen einer Augenkrankheit nicht mehr weiter zeichnen. Schade, ich hätte da gerne noch mehr gesehen, selbst wenn das letzte Kapitel dann in letzter Konsequenz "The Death of Scrooge McDuck" geheißen hätte.


    In jedem Fall eine Kauf- und Leseempfehlung. Es mag vielleicht bekannt sein, daß die man die Stories auch online lesen kann, aber für eine Arbeit dieser Qualität und Herzblut kann ich mich für ein digitales Lesen für lau nun wirklich nicht erwärmen. Papier spielregelt. Deswegen und wegen der rechtlichen Fragwürdigkeit daher hier kein Link. Ein Kauf sei empfohlen, besonders natürlich der englischen Originalfassungen.


    Chris