Ein paar Gedanken zum Thema Anime

  • Um mal wieder etwas zum Forum beizusteuern, hier ein "kurzer" Beitrag aus meinem Blog mit allgemeinem Animationsthema. Ich weiß nicht, ob es hier für jemanden von Interesse ist. Wer mehr vom folgenden Thema versteht, als ich (und dazu braucht es nicht viel) kann mich gerne korrigieren.


    Hier also ein längerer Textbeitrag in hoffentlich guter CP-Faseltradition. Mal sehen, ob jemand das eher ziellose Gefasel auch bis zum Schluß durchsteht. Wenn mir selbst schon nichts Kreatives zum Seriengeschäft mehr einfällt, sehen wir uns doch mal an, was anderen Leuten (selbst in der heutigen Zeit) im Animationsbereich noch so einfällt. Und ich werde vielleicht (vielleicht) sogar irgendetwas dezent Nettes über das 21. Jahrhundert dazu sagen können.


    Werfen wir also mal einen Blick auf ein Thema, daß in gewisser Weise ja schon öfter vorkam: die modernen japanischen Zeichentrickserien bzw. Anime mit all ihren seltsamen Blüten und vielfältigen Themenspektren. Ich gebe zu, daß mich gewisse Aspekte des Themas einerseits interessieren, ich viele Aspekte des Massenphänomens andererseits aber auch sehr (zeitgeist)kritisch sehe.


    Nun ist Anime-Fandom in der heutigen Zeit natürlich ein beliebtes Modephänomen geworden, und 12-jährige Naruto-Fans und RTL2-Gucker sind automatisch die größten Anime-Experten und nennen sich dann halt Fuchikochi-San und Mukihiro-Chun auf hippen Fanboards (was natürlich besser klingt als Lieschen Müller aus Bottrop). Alles hübsch bunt, grell, hektisch, kommerzialisiert, "sexy" und am Besten natürlich medial in Massen verfügbar. Ein Blick auf angesagte Fanfiktion zu derlei Serien dürfte einen vermutlich an der Menschheit verzweifeln lassen. Eigentlich sollte ich also einen großen Bogen um die Sache machen, um nicht der Zuwendung an den etablierten Zeitgeist verdächtig zu werden ;-).


    Anime-Fandom ist somit sicherlich ein sehr typisches Popkultur-Phänomen des 21. Jahrhunderts. Und damit meine ich sogar weniger den oft kunterbunten und HD-digital gestützten Stil moderner Serien, sondern mehr deren Massennatur und Omnipräsenz. In einer japanischen TV-Season werden jedes Jahr Dutzende neuer Trickserien produziert (darunter sicherlich viel Reißbrett und Fließband) und zu Hunderten und Aberhunderten bestehender Serien hinzugefügt. Die ganze Sache ist somit natürlich stark von Klischees und Standardschablonen beeinflußt. Welche echte Chance auf Bedeutung und Substanz hat da noch die individuelle Serie, Folge oder Charakter? Wobei Letzteres natürlich auch besonders schwer ist, weil Charaktere oft auch noch fast gleich aussehen, klingen und in stereotype Schablonen und Plotmuster gehören.


    Und stereotype Plotmuster heißt dann gerne mal pubertäre Allmachtsfantasien, kalkulierte "Erotik", Kitsch, scheppernde Kämpfe mit Robotern und mystischem Zeugs, Krachbumm und Zerstörung. Charakter x und y stürzen sich Folge für Folge in kurze Röcke und coole Kämpfe mit und gegen mystische/technische Superkräfte. Nachdem sie den mächtigen Megaflup besiegt haben, wird er ihr Verbündeter (+/- 20 andere Nebencharaktere) und es gibt noch mehr Kämpfe. Dann suchen x, y und Megaflup nach dem gar mystischen Artefakt von Schmu und nutzen das Artefakt, um nach noch mehr Kämpfen den ultimativen Final Battle zu bestehen, und dank mystischer Transformation zu gewinnen (nicht ohne sich vorher kitschig ewige Liebe und Kampfestreue zu schwören). Und weil beim vorigen Kampf nur 10 Straßenzüge zerstört wurden, werden jetzt 25 Straßenzüge und ein Nudelrestaurant zerstört, weil es ja um das Schicksal aller 57 Universen geht. Bam. Das mag jetzt satirisch übertrieben sein, aber die Reißbrettproduktion sieht vielleicht zum Teil immer noch so aus.


    Man liest in entsprechenden Foren zwar gerne auch mal emotionale Versprechen, etwa daß ein Zuschauer diesen oder jenen Charakter für wirklich einzigartig hält, oder daß eine Serie unglaublich beeindruckt hat ("The ending moved me deeply, and will stay with me forever..."), aber ich habe wegen der Massennatur einfach auch meine Zweifel an solchen Aussagen. Wenn man 400 Serien entstofflicht auf der Festplatte hat, und jede japanische TV-Season kommen 78 Serien neu dazu, welche Chance auf Dauerhaftigkeit hat eine solche Aussage?


    Vielleicht tue ich den modernen Zuschauern und ihrem Rezeptionsverhalten ja auch Unrecht, aber es erscheint mir zumindest schwierig. Ich erinnere mich an eine Aussage, die zur Simpsons-Folge "Lisa´s Substitute" von 1990 in der Capsule steht - "I laughed, I cried, it became part of me." Kann man so etwas über moderne Trickserien und speziell japanische Massenproduktionen überhaupt noch sagen? Oder sind es ausgerechnet japanische Serien, die noch das Potential haben, überhaupt Subtext und Tiefe und Inspiration zu haben?


    Einerseits ist die große Menge an Serien und Themen ein gewisser Garant dafür, daß auch kreative und ungewöhnliche Ideen dabei sind, andererseits werden die einzelnen Folgen durch den Massen-Output dann wieder zu einzelnen Tropfen im Ozean der Massenverfügbarkeit. Das ist IMO das große mediale Dilemma des 21. Jahrhunderts.


    Früher in Kindheitstagen war mir eigentlich auch nie viel an Anime-Kram gelegen. Das waren halt diese komischen Serien mit den bunten Glubschaugen-Figuren und kalkuliertem Niedlichkeits-Kram und Kindchen-Schema, bei denen die Animationen sehr simpel waren, und sich Charaktere oft vor völlig statischen Hintergründen bewegt haben, oder Szenen und Hintergründe x-mal recycelt wurden. Kostengünstige ZDF-Auftragsarbeiten der 70er Jahre wie Heidi, Biene Maja oder Sindbad waren mir auch in jungen Jahren immer eher verkitscht-suspekt. Später lag mein persönlicher Trickserienfokus dann auch mehr bei US-Material wie He-Man, Turtles, Defenders of the Earth, Galaxy Rangers, Brave Starr oder was auch immer (Tele 5 spielregelte seinerzeit). Ein paar dezente "Grenzgänger" wie Saber Rider oder Captain Future waren zwar dabei, aber die orientierten sich doch eher an westlichen Stilen und Sehgewohnheiten.


    Mit Mangas konnte ich nie etwas anfangen - und kann es bis heute nicht. Die Überstilisierung, schwarzweiße Hektik und auch die umgekehrte Leserichtung stören mich. So ist das halt, wenn man comicmäßig meist mit Disney und Barks, Rolf Kauka und frankobelgischem Kram aufgewachsen ist. Vor Jahren wurde mir mal nahegelegt, daß ich mir doch "Neon Genesis Evangelion" als Anime auf Schnickschnackscheiberei ansehen soll, die Serie wäre ja voll komplex und genial. Tja, auch dazu fehlte mir wieder mal der Zugang, ich fand die ganze Serie eher befremdlich, als irgendwie bewegend oder ansprechend. Gerade auch die ständige Übersexualisierung von 14-jährigen Kindern fand ich arg obskur. Mit dem ganzen RTL2-Merchandise-Kram Marke Yu Gi Oh, Pokemon, Naruto und Co (oder was immer gerade läuft, ich habe ja keinen Fernseher) kann ich auch nix anfangen.


    Tja, aber was will ich nun eigentlich sagen? Oben schreibe ich von einem gewissen Interesse am Thema Anime, danach lästere ich nur darüber, wie wenig mir die Serien, ihre Massennatur und ihre Klischees zusagen, und wie befremdlich vieles daran ist. Warum verkrieche ich mich dann nicht einfach in der Vergangenheit, und gucke olle US-Cartoons aus den 50er Jahren, um nicht von der Gegenwart belästigt zu werden? Es gibt doch so viele kreative und gedanklich fordernde Möglichkeiten, einen Koyoten in eine Schlucht fallen zu lassen ;-).


    Was mein Interesse zu dem Thema verspätet geweckt hatte, waren vor einiger Zeit sicherlich die Filme von Hayao Miyazaki: Das Schloß des Cagliostro, Nausicaa, Mein Nachbar Totoro, Laputa (ein etwas ungünstiger Name für den spanischen Markt ;-)) und andere mehr. Das waren Filme, die zeigten, daß es im japanischen Zeichentrickfilm auch um andere Dinge gehen kann, als konstruierte Niedlichkeiten, heiße Unterhöschen und Superkämpfe angefüllt mit pubertären Allmachts- und Sexualfantasien. Da war plötzlich ein echter Subtext, eine poetische Qualität und Kreativität, und der seltene Aspekt, daß ein Trickfilm/Trickserie immer auch mehr sein kann, als die Summe seiner Teile. Es kam mir natürlich sehr entgegen, daß diese Filme alle aus den 70er und 80er Jahren stammen, und ich könnte die bequeme Schlußfolgerung ziehen, daß früher einfach alles besser war.


    Vor einer Weile wollte ich mir aber auch mal einen Blick auf den gerade aktuellen Output japanischer Serienproduktion gönnen, sprich auf die Season 2012 und ihre Serien. Das ist natürlich hilfreich, um die aktuelle Situation einzuschätzen, und sich eine Meinung zu bilden. Es ist ja wohl auch so, daß das RTL2-Programm nicht repräsentativ ist, da wirklich gute Serien vermutlich kaum nach Deutschland kommen. Man muß dazu also tatsächlich zum oft gewöhnungsbedürftigen Originalton mit englischen Untertiteln greifen (und hoffen, daß diese einigermaßen korrekt sind). Man lernt zumindest Japanisch dabei. So kenne ich jetzt das japanische Wort für Idiot ("Baka") - es wird in vielen Serien gerne und häufig verwendet.


    Ich wollte bzw. konnte auch keinen digitalen Massenkonsum anfangen, sondern einfach mal einen stichprobenmäßigen Blick auf aktuelle Hypes, Geheimtipps oder zufällige Genre-Auswahl werfen. Dafür braucht man natürlich keine aktuelle Technik, das geht auch mit 20 Jahre alter Technik ganz ohne Probleme. Würde mir jemand glauben, daß ich Folgen auf Magnetband habe? Oder kein Gerät neuer als 1996 zum Gucken brauche? Zum Teil habe ich nur kurz reingeguckt, ganz komplett habe ich mir am Ende dann drei Serien von 2012 angesehen (wobei eine davon als "Ecchi"-Serie dann doch so peinlich ist, daß ich sie namentlich nicht erwähnen möchte - obwohl es sogar in dem Genre so etwas wie Handlung und Charakterisierung gibt. Man fasst es nicht ;-))


    Die erste ausprobierte Serie war gleich mal enttäuschend, zumal sich um diese noch eine Riesenhype als angeblich beste (?) Anime-Serie aktueller Jahre gedreht hat. Ich meine die mit 25 Folgen IMO völlig überdehnte "Sword Art Online". Eine gewisse Glorifizierung moderner Technik und digitalen Fortschritts ist ja gerade in Japan üblich, aber SAO funktioniert auf so vielen Ebenen nicht wirklich. Die Mentalitäten und Ideologien hinter der Story sind IMO fragwürdig und manipulativ, die meisten Hauptcharaktere relativ flach und unsympathisch, die Dialoge oft unglaublich kitschig und schwülstig. Die Serie nimmt sich einerseits wohl äußerst wichtig, ist auf der anderen Seite aber randvoll mit Stereotypen, Logikfehlern und Plotlöchern. Meh.


    Trotz der "Gewichtigkeit" wirkt es auf mich, als wäre bei SAO fast alles nur Oberfläche und fast nichts Subtext oder Tiefgang. Die prinzipielle Idee von wirklich fantastischen Szenarien wird völlig banalisiert und trivialisiert, es fehlt einfach an "sense of wonder". Es mag an mir (und meiner Technologiekritik) liegen, aber wenn das wirklich die beste Serie des Jahres sein soll, dann fehlt mir wieder der Zugang zum Genre. Sogar die ziemlich schräge Ecchi-Serie war mir sympathischer.


    Eher durch Zufall fand ich dann aber doch noch eine Serie, die ich weitaus ansprechender und visuell und inhaltlich kreativer fand, und die mit den in Japan so üblichen 12 Folgen (inoffiziell 13 Folgen) auch nicht überdehnt ist: "Tasogare Otome x Amnesia" bzw "Dusk Maiden of Amnesia". Ich hatte zuerst gezögert, weil die Serie als Horror klassifiziert war, und japanischer Horror ja dafür bekannt ist, oft ziemlich derb zu sein. Die Einstufung war eher falsch. Es ist zwar eine Geistergeschichte, aber eine, die auch mit Humor und Tiefgang die Konventionen des ganzen Genres (und des Aberglaubens an sich) dekonstruiert und von einem gewissen Pragmatismus zum Thema durchdrungen ist. A ghost story to end all ghost stories sozusagen.


    Und bevor ich betone, daß diese Serie anders als andere Anime-Serien (oder die klischeebeladene Massenproduktion) ist: Ja, es kommen einige sexuell überladene Storyelemente vor. Ja, es kommen einige kindische Gags über große und kleine Oberweiten vor. Ja, es gibt Stereotypen und einen nervig-schrillen Nebencharakter. Ja, die eigentliche Handlung und das "Mysterium" an sich sind nicht sonderlich kompliziert bzw. mit manch Plotlöchern, und man kommt schnell auf die Antwort. Ja, es gibt schwache Folgen und einen merklichen Durchhänger um Folge 5 und 6 herum. Und dennoch...


    Im Unterschied zur Oberflächlichkeit von SAO gibt es eine ganze Menge Subtext zu einer Vielzahl von Themen und komplexen Fragen der Welt wie Wahrnehmung, Kommunikation, Mythenbildung, Erinnerung, Isolation, Einsamkeit, Verdrängung, Wurzeln von Angst und Aberglauben, speziell natürlich des Glaubens an Flüche und anderes Unheil in Japan. Dekonstruktion von Aberglauben und die Wurzeln und Folgen von Furcht und Irrationalität sind ein roter Faden der Handlung.


    Und obwohl es nicht die Hauptlinie der Handlung ist, sind die Themen Realität, Wahrnehmungen und Kommunikation stets im Subtext präsent. Daneben gibt es noch eine echte Charakterhandlung, Humor und eine wunderbare visuelle und akustische Umsetzung (jepp, die visuellen Möglichkeiten im 21. Jahrhundert sehen möglicherweise etwas besser aus, als in den 70er Jahren im ZDF-Anime). Mit Musik und Songs im Anime habe ich wegen oft piepsendem J-Pop auch Probleme, aber hier ist es akustisch sehr gelungen - der Abspannsong klingt IMO sogar etwas nach Tim Burton.


    Und trotz einiger Standardmuster gibt es genug Abweichungen vom Schema F. Das ist z.B. meine erste Animeserie, in der die Schule der Charaktere kein grauer Glas-Beton-Klotz ist, sondern eine verfallene und verwinkelte Bruchbude (die auch metaphorisch zu sehen ist). Gerade das Alte wird als erhaltenswert betont. Der Fokus bleibt auf nur vier Charakteren, wir haben also nicht mal eben +/- 20 Nebencharaktere nach den ersten 3 Folgen. Was auch gut so ist, wie die relativ mißglückte Folge 6 zeigt, alle anderen Nebencharaktere scheinen nämlich "Baka" in Reinkultur zu sein.


    Visuell wird einerseits ein verwinkelter und verschrobener Realismus betont, andererseits hat das Szenario stets einen traumartigen Nebenklang, wie z.B. der seltsam "flache" Mond am Himmel. Eine dezent unwirklich-surreale Atmosphäre durchdringt die ganze Handlung, trotz ihres Pragmatismus. "It was all just an illusion..." sagt ein Charakter ganz am Ende der Serie (nur um kurz darauf festzustellen, daß es doch nicht so einfach ist). Ein "sense of wonder" ist für mich jedenfalls weit greifbarer, als in den Technikhuldigungen und Kloppereien anderer Serien. Das mag ein etwas schwammiger Begriff sein, aber er kommt mir als Mangel bei "SAO" und als Lob für "Tasogare" am ehesten in den Sinn.


    Ganz am Rande: ein ungewohnter Aspekt der japanischen Kultur tritt im Originalton hier auch noch deutlicher zutage: die Charaktere sprechen sich in der Regel stets mit Nachnamen an, auch wenn sie Freunde sind (der Nachname wird ja auch zuerst genannt). Jemandem direkt mit dem Vornamen anzusprechen, braucht schon besondere Gründe, und ist ansonsten ein sozialer Fauxpas bzw. wird mit Irritation auf diese Bitte reagiert. Aber sei es drum. Ich spreche einfach mal eine kleine Empfehlung für die Serie aus. Der Titel nochmal: "Tasogare Otome x Amnesia" bzw "Dusk Maiden of Amnesia". Für den modernen Menschen sollte das Rankommen an Folgen ja kein Problem sein. Es gibt offiziell 12 Episoden, inoffiziell noch eine 13. Episode, die aber ziemlicher Quark ist und ignoriert werden kann.


    Natürlich gibt es auch zu dieser Serie wieder online bewegte Meinungen wie "The atmosphere of episode 12 will haunt me forever..." aber wie gesagt: mit Blick auf die mediale Überflußgesellschaft sehe ich solche Aussagen immer skeptisch. Vielleicht gibt es am Ende doch eine Chance dafür. Folge 12 hat zumindest IMO alle Qualitäten dazu.


    Nun denn, das sollte als langer Faselbeitrag durchgehen. Etwas nebenher geschrieben, einen Pulitzerpreis gewinne ich damit sicher nicht. Aber egal. Das sollte es jetzt auch zum Thema sein. Vermutlich hat sowieso niemand bis hierher mitgelesen (ganz wie in drts-Tagen) aber mein Faselauftrag ist erfüllt.


    Falls jemand Meinungen zum Thema hat (oder mehr davon versteht, als ich), dann gerne her damit.


    Chris

  • Hi
    Also beim zweiten Anlauf hab ich deinen ganzen Text gelesen, war echt spannend :D


    Ich kann deine Kritik an den Animes, die bei uns im Fernsehen gespielt werden, durchaus nachvollziehen. Was mir grad so einfällt was läuft: One Piece, Dragonball, Naruto, Detektiv Connan, Pokemon. Wenn man diese 5 Serien vergleicht, erfüllen alle 5 Serien die absolut selben Klischees, die auch du schon genannt hast. Und das Schema ist auch immer gleich: Ein Gegner wird besiegt, ein neuer, noch stärkerer kommt wieder und muss wieder besiegt werden. Doch auch wenn die Serien noch so primitiv sind, so schau ich mir immer wieder gerne welche davon an (und ich bin 19^^). Das hat einen ganz einfachen Grund, viele Kinder meiner Generation sind mit diesen Serien aufgewachsen, und ich eben auch. Ich sah Dragonball, One Piece und Detektiv Connan schon als kleines Kind (natürlich erst nach der Heidi und Biene Maja Phase ;D) und wenn man eine Serie so lange regelmäßig sieht, hat man einfach eine emotionale Bindung dazu, aber ich glaube, das muss ich in einem Simpsons-Board nicht näher erläutern. Ich habe schon relativ früh parallel dazu die Simpsons gesehen, aber das schließt sich ja nicht aus.


    Irgendwann bin ich dann zu alt für die Animes geworden und sah eher South Park, Family Guy, etc. und dann im letzten Jahr habe ich auch Geheimtipps bekommen, welche Animes wirklich gut sein sollen und bin wieder ein wenig auf den Geschmack gekommen. Eine Serie, die ich nur empfehlen kann, ist Death Note. Die Serie besteht auch 37 Folgen und hat mich vor allem dadurch beeindruckt, dass sie extrem spannend ist. Die Serie enthällt zwar auch viele Klischees, doch sie ist auch sehr Komplex und beschäftigt sich mit fundamentalen Problemen der Philosophie, mit Macht und Verantwortung usw.
    Nach dieser Serie war ich schon fast ein überzeugter Anime Fan, doch dann sah ich mir den nächsten Geheimtipp an, der einfach grauenhaft war: Elfenlied. Der Anfang sieht toll aus, mit klassischer Musik und Klimt Bildern, doch dann nur noch nackte Gewalt und nackte Körper und das 13 Folgen lang...ich habe allerdings nach 5 aufgehört mir die Serie anzusehen, sie war einfach zu dämlich...


    So jetzt bin auch ich etwas ins schwafeln gekommen, was ich eigentlich sagen wollte: Ich glaube, diese plumpen Anime haben einfach für viele einen Reiz, weil sie damit aufgewachsen sind, und wenn sich in einem Freundeskreis einfach jeder an den Kampf zwischen Son Goku und Vegeta erinnern kann, dann ist das einfach lustig und man kann stundenlang weiterdiskutieren, wer gegen wen gewinnen würde und wer dies und das kann und nicht kann.


    mfg Database

  • Woo-hoo, jemand hat den Text tatsächlich gelesen ;). Ich hatte schon befürchtet, ich habe ihn wirklich nur für mich geschrieben, um ein paar Gedanken zum Thema darin zu sortieren.


    Es hat sicher einen großen Effekt, wenn man mit den Serien aufgewachsen ist. Dann sieht man über viele Dinge und Klischees hinweg und betrachtet sie als gute Freunde aus der Kindheit. Im Grunde hat man es dann einfacher, weil man sich gar nicht soviele (unnütze?) Gedanken darüber macht, warum man bestimmte Animeströmungen und Ideen plötzlich gut findet. Wie gesagt, in meiner Kindheit gab es das Phänomen so noch nicht (ich bin jetzt 36) und Anime waren immer eher Exoten im Cartoonprogramm. Später war ich dann auch immer skeptisch, weil ich das "erwachsene" Programm dann mehr bei Simpsons & Co gesucht habe.


    Und es gibt einfach auch ideologische Sachen, die mir in den Klischeemustern vieler Anime nicht gefallen, eben z.B. das Kämpfen und "aufleveln" bzw. die generelle Idee, daß nur der starke Held durch Training gewinnen kann (was bisweilen dadurch abgemildert wird, daß es auch mit Selbsterkenntnis bzw. einer Erkenntnis von Bescheidenheit beim Helden einher geht). Es ist auch Teil der japanischen Mentalität, daß sich der Einzelne immer in die Gemeinschaft und Leistungsgesellschaft einfinden soll - auch das findet man als Grundmuster desöfteren. Alles nicht so ganz mein Geschmack. Von diversen anderen Standardmustern, die Serien oftmals recht vorhersehbar bzw. Charaktere "flach" machen (wie z.B. das "Harem"-Muster => alle weiblichen Charaktere verlieren ihre eigene Agenda/Absichten und wuseln als verliebte Helfer um den Helden herum) mal ganz abgesehen.


    Okay, ich bin wohl wieder sehr kritisch. Ich kenne auch Leute, die es wirklich kategorisch ablehnen, Animeserien zu schauen, da für sie alle Serien sowieso nur "entweder Heidi-Kitsch oder Tentakelsex" sind. Aber gut, ich habe mich jetzt durchaus vom Gegenteil überzeugt, denn zwischen diesen beiden Extremen gibt es doch eine große Bandbreite. Wenn eine Animeserie gut gemacht ist, kann sie durchaus ein Triumph an Kreavitität, Inhalt, Komplexität und Fantasie(anregung) sein.


    Von Elfenlied habe ich die ersten Minuten der ersten Folge gesehen, das hat mir gereicht. Eine Serie wird nicht dadurch "erwachsen", daß sie mit Gewalt, Blut und Nacktheit um sich wirft.


    Konkret empfehlen kann ich wie gesagt "Tasogare Otome x Amnesia", weil die mit vielen Standardmustern oft ironisch bricht. Es gibt keine Kämpfe, kein kitschiges lovey-dovey (dafür ist der weibliche Hauptcharakter viel zu egoistisch-hedonistisch) und trotz der ghost story zieht sich ein nicht-mystischer Pragmatismus durch die ganze Story bis hin zum Ende von Folge 12. Und trotz allem ist es emotional bewegend.


    Chris

  • Wieder ein sehr schöner Text, zu einem Thema, das mich auch nicht sonderlich interessiert. Durch den Freundeskreis/Fernseher habe ich immer wieder was von Animes mitbekommen, hatte jedoch nie den Zugang wie zu amerikanischen Machwerken bekommen.
    RTL2-Programme ausgenommen; ihrerzeit war ich voll in dem Hype um Pokemon, Yu-Gi-Oh, Dedektiv Conan und One Piece gefangen. Wenn ich derzeit mal bei einem solchen Programm für ein paar Minuten hängen bleibe und das mit einem kritischeren Auge betrachte, komme ich zu ähnlichen bis gleichen Schlussfolgerungen wie du oben.
    Von Naruto habe ich tatsächlich mal eine Folge durchgesehen, als die erste im TV kam - und konnte den Hype selbst bei etwa Gleichaltrigen absolut nicht nachvollziehen, mich hat die Folge einfach nur gelangweilt; eine Reaktion von einem meiner besten Freunde auf die Kritik: "Ja, es war auch ziemlich blöd, das auf deutsch zu sehen!" - Als ob die fade Handlung und die klischeehaften Charaktere irgendwie durch bessere Dialoge aufgewertet werden könnten.


    Death Note scheint da, meinen mangelhaften Erfahrungen nach, eine Ausnahme zu sein. Diese ist tatsächlich enorm spannend und tiefgründig und sollte ich tatsächlich mal in die Verlegenheit kommen, etwas Freizeit zu haben, sehe ich mir sie auch gerne mal wieder an.
    Elfenlied war selbst mir etwas zu suspekt, bzw. wusste ich einfach nicht viel mit der Serie anzufangen. Ich habe ein paar Folgen bei einem damaligen Kumpel gesehen, absoluter Anime-Freak.


    Zum kindlich-pornografischen Charakter: Das scheint in der japanischen Kultur zu liegen, mit der ich mich auch gerne außerhalb von Animes etwas beschäftige. Pädophilie in Japan ist wohl so etwas wie das Pendant zur scheinbaren Homophilie der alten Griechen.

  • Ich denke es ist wie Chris gesagt hat, wenn man mit Anime aufgewachsen ist sieht man über viele Klischees hinweg. Irgendwann ist es einfach selbstverständlich, dass die Röcke extrem kurz sind und der Hauptcharakter immer männlich. Das bedeutet aber nicht, dass ich mir, nur weil ich damit aufgewachsen bin, weniger Gedanken zu den Klischees und Inhalten der Serien mache, ich kann sie nur einfacher ignorieren.


    Generell glaube ich, dass wir bei der Diskussion aufpassen müssen, welche Serien wir miteinander vergleichen. Meiner Meinung nach sind die Serien, die auf RTL laufen, also u.a. Dragonball, Naruto, Detektiv Conan, Pokemon nicht mit den Simpsons, Futurama, American Dad, South Park etc. vergleichbar, die Anspielungen in diesen amerikanischen Serien sind für
    Kinder nicht zu verstehen. Genau so wenig sind die Anime aber mit den amerikanischen Kinderserien, an die ich mich jetzt spontan so erinnern kann: Ducktales, Fred Feuerstein, Pink Panther, Tom und Jerry, Pinky und der Brain, Spongebob etc. vergleichbar, da mir dieser Serien mMn für ein jüngeres Publikum konzipiert sind. Mir kommt es jetzt im Nachhinein so vor, als ob es für das alter zwischen Simpsons und Ducktales keine amerikanischen Serien gegeben hätte (ich gebe aber zu, dass ich mich vielleicht einfach nur nicht erinnern kann, weil ich sie nicht so häufiggesehen habe oder vielleicht habe ich die Serien wie Spongebob auch bis in ein höheres Alter gesehen, als ich jetzt glaube). Und so musste man unausweichlich auf Animes ausweichen, auch wenn diese mit ihrer Gewaltverherrlichung und ihrem Alltagssexismus pädagogisch gesehen das Letzte waren. Würde mich interessieren, was ihr in diesem Alter gesehen habt, wenn keine Animes...


    Was mir generell noch bei Animes aufgefallen ist, ist, dass ich noch keinen Anime gefunden habe, der Bezüge zur (Tages)politik besitzt. Vielleicht verstehe ich die Anspielungen nur nicht, weil ich mich dazu in der japansichen Kultur zu wenig auskenne, oder vielleicht werden die Serien mit solchen Bezügen einfach nicht über Japan hinaus bekannt, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie hier qualitativ nicht mit den amerikanischen Serien mithalten können. Denn schon in den amerikanischen Kinderserien gibt es viele Anspielungen, zB Shakespear-Persiflagen in Donald Duck. Auch wenn man als Kind diese Anspielungen noch nicht versteht, so sagen sie doch einiges über die Serie aus, wie viel Gedanken sich die Autoren gemacht haben usw.


    So, vielleicht werde ich jetzt noch aufgeklärt, dass die Animes genau so viele Anspielungen beinhalten, ich lasse mich gerne eines besseren belehren ;)


    lg Database

  • Was mir generell noch bei Animes aufgefallen ist, ist, dass ich noch keinen Anime gefunden habe, der Bezüge zur (Tages)politik besitzt. Vielleicht verstehe ich die Anspielungen nur nicht, weil ich mich dazu in der japansichen Kultur zu wenig auskenne, oder vielleicht werden die Serien mit solchen Bezügen einfach nicht über Japan hinaus bekannt, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie hier qualitativ nicht mit den amerikanischen Serien mithalten können.


    Ich denke, daß Anime in der Regel eher mit Alltagsflucht, als mit gezieltem Alltagskommentar zu tun haben. Eventuell gehört es auch wieder zur Mentalität im Land, daß konkrete politische und soziale Ereignisse nicht (oder nur selten) über dieses Medium kommentiert werden.


    Zumindest ich kenne im Anime auch keine "tagesaktuelle" politische oder soziale Satire oder Gesellschaftsspiegel im Stil von Simpsons oder South Park. Es könnte aber natürlich sein, daß diese sehr speziellen Serien dann außerhalb Japans kaum bekannt sind, weil sie ein internationales Publikum nicht ansprechen würden.


    Was man aber natürlich im Anime findet, sind unterschwellige Befindlichkeiten aus dem Alltag. So ist Japan halt ein Land, daß immer wieder von Katastrophen betroffen ist, was sich in den vielen Zerstörungen (und dem Sieg über die Zerstörung) im Anime oder auch in Monsterfilmen widerspiegelt. Daß die soziale Gemeinschaft und deren "Ehre" und Erfolg über dem Individuum stehen ist wie gesagt auch ein häufiges Muster.


    Last but not least beziehen Anime ihre Inspiration IMO oft auch aus dem Spannungsfeld zwischen alter Religion und Fortschritt. Einerseits sind das Land und die Natur im Shintoismus heilig, andererseits brachte der Fortschritt auch immense Umweltverschmutzung und Zerstörung der kleinen Landfläche. Der Fortschritt wird einerseits gebraucht, andererseits widersprechen seine Folgen und das Verschwinden des "Alten" der Tradition.


    Über die Ursachen für Konzepte im japanischen Film und Anime könnte man vermutlich Bücher schreiben. Generell erscheint es mir so, als hätten die realitätsflüchtenden Handlungen zwar oft wenig mit Alltagskommentar zu tun, dafür aber sehr viel mit unterschwelligen Befindlichkeiten und "Konflikten" wie z.B. Fortschritt und Technologie vs Tradition und Religion.


    Und gerade das kann auch eine gute Grundlage für wirklich fantasievolle und inspirierte Dinge sein, kann aber natürlich auch die seltsamsten Blüten und Klischees treiben.


    Chris

  • Noch ein kleiner Nachtrag zum Thema aus meinem Blog:


    Ich wollte eigentlich schon seit einer Weile wieder mit dem aktuellen Anime-Gucken aufhören, und mich anderen ("rückständigeren" ;-)) Dingen und Projekten widmen. Und das durchaus mit gutem Grund. So hatte ich zumindest stückchenweise ein paar wirklich schlechte Serien voll mit Haudrauf und Standardmustern gesehen, was mich in der Vermutung bestärkt hat, daß das Finden von guten und herausragenden Serien in dem ganzen Genre-Komplex ein äußerst schwieriges Unterfangen ist - besonders, wenn man sich von der Massenschwemme an Serien fernhalten will. Irgendwelche Ranglisten helfen mir da auch wenig. Ich habe aber den Eindruck, daß man sich wirklich auf die kürzeren Serien mit 10 - 13 Folgen beschränken sollte, je länger eine Animeserie, desto größer oft der Klischeekram.


    Ohne technologische "Einschränkung" könnte man sich IMO in jedem Fall schnell in Unmengen und Massen verzetteln, in denen dann selbst die Perlen untergehen würden. Wenn man auf größere Anime-Webseiten mit Bewertungen guckt, dann fällt da schon mal auf, daß weniger beliebte Serien in den Ranglisten auch mal "etwas weiter hinten" auf Platz 4.800 stehen können (in Worten: Platz viertausendachthundert). Das sagt ja auch viel über die schiere Masse aus. Mancher Fan scheint auch tatsächlich digitalisiert 20+ Serien pro Woche und auch mehrere Folgen pro Tag zu gucken, nur um up-to-date zu sein. Meh. Das würde mir persönlich jede Freude und Interesse an dem Thema nehmen. Wie schon an anderer Stelle geschrieben: ich kann nicht nachvollziehen, was reine Quantität mit einer Liebe für das Genre zu tun hat.


    So gesehen war es also definitiv an der Zeit für eine längere Pause. Es gab aber noch eine Serie auf meiner Liste, die ich schon mehrfach mit Lob überschüttet gesehen hatte, und die mit 11 Folgen Lauflänge eigentlich auch nicht zuviel Zeit und Band in Anspruch nehmen sollte. Die Reviews dazu online zeigten oft eine ziemliche Eloquenz und Emotionalität, was immer ein gutes Zeichen ist. Auf der anderen Seite fand ich eine kurze Beschreibung und vor allem das Genre "Drama" weniger ansprechend. Drama in einem Kinderprogramm mit großäugigen Figuren? Aber sei es drum. Ich hatte die Serie als Abschluss für meinen kleinen Ausflug in die japanische Zeichentrickwelt noch eingeplant. Und ich muß sagen, es war eine gute Entscheidung, nicht mit irgendwelchem 08/15-Battlemysuperpowersmegafight-Kram, sondern mit dieser feinen Perle (oder sollte ich sagen Blume) aus dem Jahr 2011 einen Ausklang für meine Beobachtungen zum Genre zu finden.


    Ich spreche von einer Serie mit dem prägnanten und sicher leicht zu merkenden Titel "Ano Hi Mita Hana no Namae wo Bokutachi wa Mada Shiranai" (oder kurz Anohana) Auf Englisch lautet der Titel "We Still Don´t Know the Name of the Flower We Saw That Day". Allen, die jetzt denken, so einen langen Quark kann man sich doch eh nicht merken, sei gesagt: wenn man die Serie gesehen hat, vergißt man sie oder den Titel IMO nicht mehr. Nicht mal den Japanischen.


    Was soll ich sonst dazu sagen? Wow. Das Ding ist verdammich gut. Was gar nicht mal bedeutet, daß die Serie in sich perfekt und ohne Fehler ist (sowas würde ich ja dann schon wieder nicht mögen). Im Gegenteil: es gibt Plotlöcher, es gibt manipulative Szenen, es gibt einen Überschwall an asiatischer (?) Emotionalität, der auf westliche Zuschauer wohl durchaus befremdlich wirken kann bzw. bisweilen auch an den Rand der Lächerlichkeit geht. Es gibt keine 2 Minuten in die erste Folge einen grenzpädophilen Sexgag, der einen fast zum Abschalten bringt. Und bei "nur" 11 Folgen hat man auch etwas den Eindruck, daß zwei oder drei Folgen mehr für ein etwas runderes Erzählen auch nicht geschadet hätten. Hey, sogar die Animation ist für eine aktuelle Serie von 2011 eher "schwach", und wäre so auch schon vor Jahrzehnten machbar gewesen. But I like it.


    Warum zähle ich die Serie trotz dieser nun harsch klingenden Kritikpunkte mit zu den brillantesten und bewegendsten Dingen, die zumindest ich jemals im Zeichentrickbereich gesehen habe? Warum ist es eine Serie, bei der man durchaus verstehen kann, wenn Menschen sagen, das Anschauen hat ihr Leben verändert/bereichert? Warum geben erwachsene Leute (wenn auch anonym) online zu, Rotz und Wasser geheult zu haben, wo die Figuren doch nur Striche und Linien sind? Schwer zu sagen. Anohana ist definitiv mehr, als die Summe seiner Teile.


    Ich will nun gar nicht viel zur Handlung sagen, man soll vielleicht so unvorbereitet wie möglich an die Sache herangehen. Die Genre-Zuschreibungen, die herumgeworfen werden, sind oft irreführend, weil eine gute Serie vieles gleichzeitig sein kann. So fand ich auch bei dem durchaus komplexen "Tasogare Otome" die Kategorisierung Horror/Ecchi schon irreführend, obwohl beides drin ist. Aber auch soviel mehr. Bei Anohana geht prinzipiell um das Thema Tod, was ja in westlichen Trickserien meist gemieden wird (oder aber wie gerne bei Disney mit Alles-wieder-gut-Wundern beschönigt wird). Bruchbach-Leser wird die Serie vielleicht auch an Episode 157, "Drei Spürnasen und der Rote Spiegel" aus Staffel 8 erinnern, speziell an den melancholischen Schluss. Was aber natürlich Zufall ist bzw. eventuell mein Interesse am Thema zeigt.


    Da würden mich nun auch wieder die Meinungen anderer Zuschauer interessieren, gerade von solchen, die nicht als irgendwelche "Mega-Fans" im Genre stecken, sondern dem japanischen Zeichentrickschaffen eher kritisch gegenüber stehen. Bin ich auf meine alten Tage zu weich geworden? Falle ich hier zu sehr auf emotionale Manipulation herein? Sollte ich aktuelle Serien generell schlecht finden, weil sie nach 1979 produziert sind - und auch noch in Farbe? ;-)


    Vielleicht mag ja mal jemand einen Blick auf die Serie werfen und mir Auskunft zu obigen Fragen geben. Eine deutsche Synchro gibt es meines Wissens nach nicht (was wohl auch gut so ist) und eine japanische Version mit Untertiteln sollte ein moderner Mensch sicher online finden. Wobei bei den Untertiteln wohl auch mehrere Versionen kursieren, und nicht jede Übersetzung gleich gut ist. Mit den Untertiteln auf meiner Version was ich aber zufrieden. Hier einfach nochmals der vollständige Titel der Serie: "Ano Hi Mita Hana no Namae wo Bokutachi wa Mada Shiranai".


    Ansonsten wünsche ich allen Lesern Frohe Ostern.


    Chris

  • Um für das Forum ein wenig zu tun, hier mal wieder ein langer CP-Faselbeitrag aus dem Blog. Der setzt einerseits das Anime-Thema fort (daher verwende ich diesen Thread), greift aber weiter unten u.A. auch das Thema Simpsons auf. Interessieren so lange Beiträge hier eigentlich noch jemanden?


    Ich hatte die Arbeit daran zwischenzeitlich wieder zurückgestellt, und zwar aus dem einfachen Grund, daß mir das bereits durchgekaute und eher medial angepasste Thema bei genauerer Betrachtung als wenig interessant für die meisten Leser (die anderes von mir erwarten) erschien. Eventuell kann es aber als Thema auch ein guter Aufhänger für ein paar Gedanken für und wider dem aktuellen Zeitgeist bzw. der generellen Mentalität der Welt sein.


    Damit der Beitrag nicht zu lang wird, werde ich ihn auf zwei Teile anlegen. Hier der erste Teil, der zweite Teil dann in der nächsten Woche. Es geht nochmals um das Thema des Massenphänomens japanische Anime-Serien und meinem Verhältnis zu ihnen. Wieviele Leser habe ich gerade mit einem gelangweilten Aufstöhnen verloren? ;-).


    Egal, weiter im Text. Was ich in gewisser Weise faszinierend an dem ganzen Themenkomplex finde, ist, daß eine Handvoll japanischer Trickserien das geschafft hat, was zahlreiche von angeblich angesagten Muß-man-gut-finden-"West"-Serien und Blockbustern nicht geschafft haben: bei mir ernsthaftes Interesse und Zustimmung für ein Produkt des 21. Jahrhunderts zu wecken.


    Womit ich nicht sagen will, daß ich auf der anderen Seite nicht auch gerade wieder das 21. Jahrhundert für eventuell deutliche Abstriche bei Wirkungen und Möglichkeiten und Chancen verantwortlich mache. Mein persönlicher Eindruck wird IMO auch stark davon geprägt, daß ich das Genre und seine Medien (und deren Verfügbarkeit in kleinen, bevorzugt analogen Portionen) auch auf meine technischen Möglichkeiten im 20. Jahrhundert "anpasse", was sicherlich zu einer geänderten Rezeption der ganzen Sache führt.


    Ich bleibe auch dabei, daß die schiere Masse erschreckt, und es unter jeweils 100 Serien vielleicht nur eine wirklich Gute gibt. Das Phänomen Anime hat eventuell sowohl die besten Serien aller Zeiten, als auch die schlechtesten Serien aller Zeiten hervorgebracht. Nirgendwo anders liegen wunderschöne Ideen und gröbste Auswüchse, extrem laut und unglaublich leise, komplexe humanistische Fragen und problematische Mentalitäten näher beisammen. Das tiefere Empfinden zu einer herausragenden Serie ist durch ihre Natur IMO eine persönliche und individuelle Sache, und nichts, daß sich konstruktiv an Rankinglisten, Popularitätspunkten, Votes und "likes" online festmachen und ausführen lässt. Gerade die Diskrepanz zwischen der äußerst persönlichen Natur der herausragenden Serien und der grellen "Öffentlichkeit" des modernen Internets zum Thema erscheint mir auch irritierend.


    Dazu später mehr in Teil 2. Ich muß etwas weiter ausholen und mich erst den westlichen Formaten zuwenden.


    Was ich nicht nachvollziehen kann, ist die Begeisterung für alle möglichen "In"-Realserien, die zur Zeit so angesagt auf Pro7 und Co laufen. Mangels Fernseher bekomme ich die zwar nur bruchstückweise bei anderen Leuten mit, aber wenn ich mal einen Blick auf moderne Quoten-Hits wie "How I Met Your Mother" und "Two and A Half Men" (scheinen ja beide ständig zu laufen) oder sonst etwas werfe, dann führt das eher nur zu einem müden Achselzucken. Was soll daran nur so brillant sein?


    Worauf begründet sich die etablierte Ansicht, mit der gesagt wird, daß erst Dank solch neuer Serien TV-Formate der Moderne endlich "erwachsen" geworden sind, während früher alles meistens ja nur Unfug Marke "Knight Rider" und "A-Team" war? Ich halte beide Behauptungen für falsch. Moderne Serien erscheinen mir in all ihrer digitalen Vermarktung überbewertet, und das sehr große Universum klassischer Serien für unterbewertet. Wobei zugegeben viele der wirklich guten Sachen in Deutschland niemals einfach zugänglich bzw. durch teutonische Bearbeitungen beeinträchtigt waren.


    Ein weiteres Problem, daß mir bei modernen Serien oft auffällt, ist, daß sie in ihrem Stil zu einheitlich und zu globalisiert sind. Man hat nicht mehr den Eindruck, die Serie eines bestimmten Ursprungs zu sehen, sondern ein für den Weltmarkt durchgeplantes Medienprodukt. Es fehlt oft der spezielle lokale Unterton, der früher viel vom Reiz ausgemacht hat. Ein gutes Beispiel hierfür ist vielleicht der neue und hippe "Doctor Who". Ich hatte mich ja in einem früheren Beitrag schon dazu geäußert.


    War die Serie in ihren klassischen Jahren oft ein deutliches Beispiel für budgetbedingte Skurrilität, britische Mentalität, britische Eigenheit und den dortigen Markt (so war es völlig normal, daß eine Alien-Invasion der ganzen Welt auf einer grünen Wiese hinter einem Pub irgendwo in Berkfordshire beginnt und endet, oder die Space-Overlords aus der fünften Galaxis mit stark britischen Akzenten sprechen), macht sie heute einen eher stromlinienförmigen, globalisierten, und vor allem auch gezielt amerikanisierten Eindruck für den Weltmarkt. Das mag vielen gefallen und notwendig sein, mir fehlt aber die Skurrilität und Eigenheit der Insel. Dieses Argument ist eventuell wichtig, es kommt später nochmals in anderer Form - und mit anderer Insel.


    Einen ausgeprägt negativen Eindruck habe ich auch bei der hiesigen 2013er-TV-Auswahl an westlichen Zeichentrickserien. Gab es früher (Anfang der 90er Jahre) zumindest noch eine große Auswahl durch vielfältige - wenn auch oft inhaltlich platte - Cartoon-Programme auf z.B. ZDF, RTL Plus, SAT 1 und klassischem Tele 5, so hat man heute beim müden Durchschalten IMO oft den Eindruck, das moderne Trickserien-Angebot bestehe nur noch aus "Spongebob" und "Cosmo & Wanda" bzw. auch diversen Kopien der beiden Formate. Daneben noch ein paar rosabunte Mädchenserien in 3D, bei denen mir Kitsch, Klischees und Rollenprägung sogar ausgeprägter erscheinen, als in den "plumpen" 80ern - von echter Emanzipation im Jahr 2013 zumindest kaum eine Spur. Liegt es an mir, oder ist das Trickserien-Programm im deutschen Fernsehen wirklich so grob einseitig und konservativ-cartoonig geworden?


    Leider war besonders Deutschland im Bereich Animation IMO schon immer auffallend desinteressiert und unkreativ. Was bedauerlich ist, wenn man bedenkt, daß Pioniere des Genres wie Lotte Reiniger aus Deutschland kamen ("Die Abenteuer des Prinzen Achmed" von 1926 war der erste mehr oder weniger abendfüllende Trickfilm noch vor Disney). Aber es liegt wohl an der konservativen deutschen Mentalität, die sich für eine wirkliche Evolution und echte Kreativität im "Kinderformat" nie ernsthaft begeistern konnte.


    Ein gutes Beispiel für das Problem deutschen Trickfilmschaffens war vielleicht vor einigen Jahren die platte Fix & Foxi-Zeichentrickserie mit Vorschul-Zielgruppe (nebenbei bemerkt als eine sehr günstig gemachte Auftragsarbeit in Spanien realisiert). Sicherlich nicht das, was das Potential der Comics verdient hätte. Daß eine extrem langlebige und Jahrzehnte erfolgreiche Comicserie mit einem derartig hingeschluderten Produkt abgefertigt wird, wäre in Japan vermutlich undenkbar - je erfolgreicher der Comic, desto höher das Serienbudget und desto weitgefasster die Zielgruppe.


    Was mir im westlichen Trickserien-Programm an sich vor allem fehlt, ist eine wirkliche Evolution des ganzen Genres. Und Evolution heißt für mich eben nicht bunte Linien, 3D-HD, Digitalkolorierung und Gagfeuerwerk, sondern mehr, daß man Trickserien echten Tiefgang, Komplexität, fordernde Stories und ein reiches Innenleben für Charaktere zugesteht. Wo findet man sowas im heutigen Angebot von kunterbunten Faxen und schrillen Gags? Eventuell noch ansatzweise in den wenigen Animes, die sich auch auf einen deutschen Markt anwenden lassen. Die wirklich guten Serien sind dort aber vermutlich auch nicht dabei, weil es die glücklicherweise gar nicht in synchronisierten Fassungen gibt.


    Und man kann es immer gerne erwähnen: gerade auch das Schicksal der Simpsons ist für mich immer mit ein Indiz, wie erfolglos Tiefgang und echte Charakterhandlungen in westlicher Animation oftmals sein können, und wie ausgeprägt die "Evolution" einer Serie in die falsche Richtung läuft, wenn es nur um Quote und Erfolg geht - im Fall der Simpsons von den komplexen Charakterstories und subtilen Satiren der frühen Jahre Marke "Lisa´s Substitute" (für mich nach wie vor die beste Folge aller Zeiten) oder "Two Cars" hin zur grellen Spaßparade der letzten Jahre bzw. des 21. Jahrhunderts an sich.


    Die genialen und "anderen" Folgen der Simpsons sind in Relation zur Gesamtserie inzwischen nur mehr Bruchstücke in schlechter "Grafik". Die Begründung, die Pro7 vor einigen Jahren dafür gab, daß keine älteren Folgen der Simpsons mehr gezeigt werden, mag symptomatisch für das westliche Problem im Allgemeinen, und das deutsche Problem im Speziell sein - alte Folgen, die so "ganz anders" sind, als neue (beliebte) Folgen würden "Zuschauer irritieren" (den unausgesprochenen Satz mit dem geringen Wert für Werbekunden muß man sich dazu denken). Das passt natürlich auch sehr gut zu diversen Ablehnungen, die es seinerzeit für die Bruchbach-Idee gegeben hat.


    Wenn man rein für das Argument einfach mal annimmt, daß moderne Realserien in gewisser Weise tatsächlich nun "besser" und komplexer und erwachsener geworden sind, als ihre Vorgänger aus vergangenen Jahrzehnten, dann sei hierzu die Frage erlaubt: warum wird diese Tugend, Qualität und Entwicklung im Westen nicht auch den Trickserien zuerkannt? Warum dürfen viele Realserien heute "erwachsen" sein, Animation steckt aber weiterhin in Formaten von Spongebob und helfenden Elfen fest bzw. darf nur dann als erwachsen gelten, wenn krude Späße herumgeworfen werden?


    Warum kann Animation nicht auch dadurch erwachsen sein, daß sie schlicht Respekt und ausgefeiltes Innenleben für ihre Charaktere und deren Wirkung und Realität hat und entfaltet? Warum brechen die Konventionen und Genres nicht auf? Hier fehlt dem westlichen Denken und auch der Kreativität IMO weiterhin der Sprung zum echten Fortschritt. Die eigentliche Sprungfeder, die fehlt, ist vermutlich eine, die in der japanischen Mentalität vorhanden ist, die im Westen bzw. gerade in Deutschland aber eher belächelt wird. Auch dazu später mehr.


    Bevor nun Gegenargumente mit Beispielen kommen: ja, es gibt auch tendenzielle Ausnahmen von der Regel. "Futurama" in seinen Glanztagen sei hier zu erwähnen, und auch die Leute von Pixar haben oftmals Gespür für Tiefgang (wobei eines der großen Vorbilder der Pixar-Leute auch Anime-Guru Hayao Myazaki ist). Einige amerikanische Trickserien haben bzw. eher hatten auch bisweilen Tendenzen in die richtige Richtung, gingen den Weg aber selten zu Ende. Es sei auf die klassische Batman-Serie vom Anfang der Neunziger verwiesen, als Glanzpunkt könnte hier der schon mal erwähnte "Mask of the Phantasm"-Film und seine fatalistische Art-Deco-Atmosphäre gelten.


    Aber genau wie bei den Simpsons kann man auch bei solchen Serien sehr schnell eine "Anpassung" bemerken, im Fall von Batman durch später deutlich flachere (Robin-)Stories. Als gutes Beispiel für die geringe Chance gewagter Formate ist IMO erstaunlicherweise auch "The Real Ghostbusters" der 80er Jahre zu nennen, die als durchaus atmosphärische und frische Semi-Grusel-Serie begann, nach mehreren Weichspülvorgängen aber am Schluß als kunterbunter Kiddie-Cartoon endete. Und gerade im Vergleich mit dem Terrain, in das sich japanische Animation wagt, wirken westliche Versuche oft auch relativ halbgar und wenig dazu bereit, Genrekonventionen ernsthaft zu überwinden.


    Zusammenfassend gesagt: was wir haben, sind also in deutscher Produktion etablierte Serien Marke Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg und im international-westlichen Programm ein Übermaß an Spongebob und Co. Die alte Serienvielfalt, bei der man zumindest noch eine gewisse Auswahl hatte, ist auch futsch bzw. bei irgendwelchen Spartenkanälen begraben, wenn überhaupt. Und das Schicksal von Serien wie den Simpsons, dem klassischen Art-Deco-Batman oder den Real Ghostbusters sind für mich auch stets ein gutes Indiz dafür, was mit westlichen Trickserien passiert, die allzu anders sein wollen. Einen echten Fortschritt dank 21. Jahrhundert sehe ich nicht. Moderne Simpsons in HD und Digitalkolorierung sind die Illusion von Fortschritt für die Quote, nicht die wahre Evolution der Idee und ihrer Möglichkeiten.


    Im zweiten Teil des Beitrages werde ich mich dann nächste Woche den Animes zuwenden bzw. der Frage, warum diese IMO sind, was sie sind, und was ein der westlichen Welt fremder Eskapismus damit zu tun hat. Das wird sicherlich auch nochmals ein Beitrag ähnlicher Länge. Oder interessiert das gar niemanden? Ansonsten hätte ich als Alternative noch ein paar kewle Screenshots vom 386er im Angebot ;-).


    [to be continued...]


    Chris

  • Hier ist der zweite Teil des Beitrages. Ich werde mich im folgenden Text nun dem Thema Japan und den dortigen Befindlichkeiten zuwenden. Das ist nicht so einfach und nur meine bescheidene Laien-Meinung. Gelernte Nippologen dürfen mich gerne korrigieren.


    Die Frage die sich natürlich stellt: warum gerade Japan als Nährboden für eine so umfangreiche (und oft genug seltsame) Animationskultur? Wenn man sich die japanische Gesellschaftsstruktur ansieht, dann findet man dort wohl auch einige eher unschöne und geradezu repressive Aspekte: die starke Hierarchie, bei der Erfolg und gesellschaftliche Position ungemein wichtig sind, die generelle Tendenz zum "Nicht-auffallen-dürfen" und Konformität (es gibt dazu das nette Sprichwort "Der Nagel, der aus dem Brett heraussteht, muß eingeschlagen werden") und die starke Betonung einer Notwendigkeit der gesellschaftlichen Harmonie über den Wünschen des Individuums.


    Es gibt Unterschiede und Rollenverteilungen in etlichen Bereichen, zwischen jung und alt, zwischen Mann und Frau, zwischen Erfolg und Mißerfolg usw. All das spiegelt sich neben anderen Dingen auch in der Sprache und den Höflichkeitskonventionen wider, die stets auch vom Stand des Betreffenden in der Gesellschaft abhängen. Es gibt darüber hinaus sogar in der Sprache und Wortwahl (kaum übersetzbare) Unterschiede zwischen Mann und Frau. Benutzt eine Frau Begriffe, die eigentlich für den Mann reserviert sind, betont sie damit gleich ihre Seltsamkeit (es kommt im Anime daher gerne auch mal vor, geht in Übersetzungen aber wohl verloren). In der Realität wäre das ein grober sozial Fauxpas, daher bleibt es den Zeichentrickfiguren überlassen, die Grenzen zu übertreten.


    Die japanische Popkultur ist geprägt von grellen Tönen, Oberflächlichkeit, und vor allem auch Schnelllebigkeit mit Stars, Sternchen und Kurzzeit-Idolen, sowie einer alles durchdringenden Digitalisierung und Allzeitverfügbarkeit. Und dennoch taucht gerade in dieser Umgebung das seltsame Phänomen auf, daß sich der Eskapismus aus der überstrengen Gesellschaftsstruktur ausgerechnet in Form von Comics und Zeichentrickserien zeigt, in denen die Charaktere so ganz anders sind, als das Alltagsleben. Und in den allerbesten Produkten dieser Weltflucht können sich dann Ideen manifestieren, die Themen wie Humanismus, Philosophie, life, the universe and everything und das Leben innerer Welten zu einer Brillanz und Vielfältigkeit kombinieren, die es so sonst nirgendwo auf der Welt gibt. In jenen Fällen wird dann auch die oft schwer nachvollziehbare japanische Mentalität zu einem Sprachrohr für einen universellen Humanismus bzw. zu einer Botschaft über das Gute im Menschen an sich.


    Wie gesagt, wir sprechen hier von seltenen Perlen, von vielleicht jeweils einer von 100 Serien, wenn nicht sogar von einer von 1.000. Hier fließen dann natürlich auch andere Aspekte, "Konflikte" und Kontraste innerhalb der Gesellschaft mit ein: Industrie und Fortschritt vs Naturglauben und alten Shintoismus, erfolgsorientiertes Leben vs Bescheidenheit, der alte Weg des Lebens und der "splendid isolation" der Insel vs westliche Assimilation, Hinterfragung der Gesellschaft vs Nicht-auffallen-wollen, sicherlich auch neue Frauenrollen vs althergebrachtes Patriarchat. Auch klassische Traumata wie Naturkatastrophen, Zerstörung und (als problematischer Aspekt) das sogenannte unehrenhafte Verlieren des 2. Weltkriegs haben ihren Anteil. Wenn man aber all das und mehr richtig zusammenbringt, dann kann der Widerspruch und Kontrast zwischen all diesen Themen zu etwas führen, daß weit mehr ist, als die Summe seiner Teile.


    Ein für mich interessanter Aspekt ist übrigens, daß sich der Eskapismus in Serien durchaus auch auf Zeitgeist und Fortschritt beziehen kann. Zugegeben, es gibt sehr viele Serien mit Glorifizierung von Technologie und Fortschritt bzw. mit "digitalen Utopien", die mir weit mehr als düstere Dystopien erscheinen. Auf der anderen Seite gibt es aber Serien, in denen Fortschritt sehr weit im Hintergrund bleibt. Da kann es dann durchaus vorkommen, daß jugendliche Charaktere Tonbandgeräte, Super-8-Kameras oder Polaroidfotos verwenden. Könnte man sich so etwas in einer deutschen Trickserie vorstellen, die doch immer die "Lebenswelten" der jungen Zuschauer erfassen soll? Dazu fallen mir als deutsches Bespiel stets die neuen Mainzelmännchen (pardon, ich meine die 6hipdudes@mainz) ein, die nach der Modernisierung nun wohl in jedem zweiten Clip mit Smartphones, Notebooks und Flatscreens herumhantieren. Soll ja niemand denken, das 2DF wäre ein altmodischer Sender ;-).


    Nun könnte man an dieser Stelle natürlich die etwas schräge Frage stellen: woher kommt der immense Unterschied zwischen Deutschland und Japan? Beide Länder teilen zumindest im 20. Jahrhundert ähnliche Vergangenheiten: sie haben sich vor und im 2. Weltkrieg auffallend schlecht benommen, wurden besiegt und besetzt, amerikanische Werte und Kultur wurden assimiliert und transformiert. Arbeitsethik, fragwürdige Ehrbegriffe und hierarchisches Bürgertum sind zumindest auch in Ansätzen vergleichbar vorhanden. Und trotzdem gibt es den aktiven Eskapismus, der die immense Kreativität in Japan befeuert, in Deutschland kaum. Während sich in Japan die Formen und Bildsprachen einer Animationskultur entwickelt haben, fiel der Eskapismus in Deutschland ziemlich flach, und die "Kreativität" floß in betuliche Familienserien und Betonungen der bürgerlichen Ordnung (sowie in ebensolche Comics, die sich stark an klassische Tierfabeln anlehnten).


    Zurück nach Japan. Gerade der Aspekt der "splendid isolation" ist eventuell ungemein wichtig für das Erfolgsgeheimnis. Die Serien und Filme werden prinzipiell immer zuerst für den japanischen Markt und die dortigen Gegebenheiten und Geisteswelten geschaffen. Man kann immer sofort am Verhalten, am Stil, an den Namen, an der Szenerie, an der Religion, am Essen und Trinken, ja selbst an den Geräuschen von Stadt und Natur erkennen, daß man sich in Japan befindet (und daß die "kleine Insel" für die Charaktere oft das Zentrum des Universums darstellt). Handlungen, die z.B. in Welten von Göttern und Geistern, von kami, yokai und ayakashi, und im religiösen Synkrethismus zwischen Shinto, Buddhismus und Schauwerten des Christentums spielen, sind stark auf ihre kulturellen Wurzeln festgelegt. Das erscheint mir immer als deutlicher Kontrast zu der Globalisierung und Amerikanisierung westlicher Formate. In japanischen Formaten kommt gerade Amerika und das amerikanische Militär oft auffallend schlecht weg. Woran das nur liegen mag? ;-).


    Wenn man eine Folge wie "Lisa´s Substitute" als beste Simpsons-Folge aller Zeiten betrachtet, dann kann man vielleicht nur entweder am westlichen Trickprogramm der Gegenwart verzweifeln, oder letztlich (trotz aller begründeten und unbegründeten Vorurteile) doch bei den Anime landen. Dort ist Anteilnahme und Sympathie/Empathie für die Charaktere ein fester Bestandteil und kulturell akzeptiert. Erstaunlicherweise waren auch gerade die "gelben Chaoten" bzw. Simpsons eine Serie, die am Anfang als eines der wenigen westlichen Produkte diesen respect-the-inner-life-Aspekt aufgegriffen hat - man denke an die doch sehr andere Folge "Moaning Lisa". Wie schon gesagt, ist das aber inzwischen ein archaisches Bruchstück, daß deutsche Zuschauer irritiert. Bei den japanischen Serien hat diese Eigenschaft überlebt. Der Preis, den man für diese ernsthafte Behandlung von Charakteren im Anime zahlen muß, ist natürlich auch, daß es keine Garantie gibt, daß alles gut wird. Man darf eine Bindung zu einem Charakter entwickeln, aber der Charakter kann sterben. Und auch das gehört dazu.


    Wenn man über Licht spricht, darf man natürlich auch die Schattenseiten nicht vergessen, die vermutlich auch deswegen so ausgeprägt sein können, weil sie eben nicht für gaijin (also Ausländer) entwickelt sind, sondern für einen kulturellen Kontext vor Ort. Was keine Entschuldigung ist. Über Themen wie Sexismus, Objektifizierung, pädophile Konzepte etc. muß man wenig sagen, sie kommen sehr häufig vor, und viele westliche Fans sehen den größten Anreiz zum Schauen und Sammeln von Serien wohl gerade auch in kitschiger Erotik, Stereotypen und Klischees. Man kann um diese Themen einen mehr oder weniger großen Bogen machen, natürlich gibt es in der Masse auch dahingehend "unschuldige" Serien - die Anführungszeichen deshalb, weil sie es so ganz oftmals nie lassen können. Und wenn es gar keine Bezüge in dieser Richtung gibt, dann sind viele Fans scheinbar der Ansicht, sie müssten welche entdecken oder erfinden. Naja.


    Andere Schattenseiten sind oft die unterschwelligen Tendenzen zu Konformität und Leistungsdenken, die auch der Eskapismus nicht ganz entfernen kann. All die Serien, in denen irgendwer (oder irgendwas) trainieren, kämpfen, siegen und sich weiterentwickeln muß, fallen in dieses Schema. Erstaunlicherweise verkauft sich dieser Kram auffallend gut in den Westen, während Serien mit stillen und "schwachen" Charakteren (wie etwa Freund Natsume) hier offiziell weitgehend unbekannt bleiben. Das Thema Einordnung in Gruppen und die Leistungsgesellschaft in der Schule ist auch häufig subtil präsent. So weist etwa ein jugendlicher Anime-Charakter, der nicht zur Schule geht oder keine Leistung bringt, auf irgendein großes Problem hin, das mit Hilfe von anderen Menschen überwunden werden muß. Das ist ein Standardmuster.


    Auch das Verhältnis zur eigenen Geschichte und zum japanischen Imperialismus und Militarismus ist eine Quelle problematischer Aspekte. Die Mentalität ist hier eine deutlich andere als in Deutschland, da sich Japan nach wie vor weit mehr als Opfer sieht, und nicht als Täter im Zweiten Weltkrieg. Ich will nun dazu keine historische Betrachtung beginnen, das wäre zu ausladend. Wenn man sich Dokumentationen darüber ansieht, was in China und z.B. in Nanking geschehen ist, dann zerbröselt die "Unschuldsfassade" doch sehr schnell. Aber das ist ein anderes Thema. Eine Auseinandersetzung mit solchen Fragen suche ich bisher im Anime auch vergeblich. Man kann im Genre zwar viele Wege gehen, aber eben doch nicht alle.


    Jedenfalls ist es bis zum heutigen Tag kein Problem, wenn Charaktere z.B. in Serien, die in historischer Zeit spielen, unverblümt davon sprechen, daß der Lebensraum für das japanische Volk auf dem Festland liegt (also China, Russland oder Korea), oder daß Ehre, Flagge und Volksgemeinschaft wichtiger sind, als das Leben einzelner. Man stelle sich nur vor, was mit einer deutschen Trickserie passieren würde, die solche blasigen Sprüche schwingt. Militärische Hardware wie Kampfroboter, Raketen, Raumschiffe, Schlachtkreuzer, U-Boote, mächtige und dicke Waffen aller Art etc. werden auch sehr gerne glorifiziert (und sexualisiert), besonders wenn es beim Feind dann richtig BUMM macht. Auf der anderen Seite gibt es dennoch auch stille und pazifistische Serien und Filme. Starke Kontraste überall.


    Den stärksten Kontrast sehe ich auch gerade in der oft äußerst persönlichen Natur, die eine wirklich gute Serie haben kann ("Die Serie ist mir das wert, was sie für mich bedeutet"), und in der Massenbehandlung, die das ganze Genre im Internet erfährt. Die moderne Welt ist vielleicht in gewisser Weise durchaus der Nährboden für die Kreativität der Serien, und der Wind, der diese Kreativität verbreitet und neue Blüten hervorbringt. Auf der anderen Seite ist die Moderne aber auch wieder der Holzwurm im Gebälk, der zu Vereinfachung, Wachstumsproblemen und leicht pflegbaren Monokulturen führt. Ähm, kann jemand dieser obskuren Vegetations-Metapher folgen? ;-)


    Ich habe den Eindruck gewonnen, daß einen die Kultur zum Thema Anime, die im modernen Internet betrieben wird, oft eher "runterzieht", anstatt die Freude an den Serien und Themen zu beleben. Anstatt Gedanken und Emotionen zu Serien findet man dort häufig nur Einsortierungen in feste Schemen, die üblichen Web-Manieren (z.B. in der Art von Kommentaren wie "I laughed my ass off when the old f**k died..." als Kommentar zu einer Sterbeszene) und Zweizeiler-"Reviews". All das je nach Ort und Serie sicher auch in unterschiedlichen Qualitäten , aber ich habe im Internet bisher keine Anime-Anlaufstelle gefunden, die mich sonderlich anspricht. Viele Leute, viele Daten, viele Listen und Votesheets, viele bunte Bilder in Hochglanz, aber nur wenig Substanz.


    Wir haben auf der einen Seite Serien, über deren Aussage und Wirkung und offenen Fragen man eigentlich oftmals "in sich selbst" reflektieren könnte oder sollte oder prinzipiell müsste. Digital teilbar und begründbar und sortierbar ist das oft nicht. Auf der anderen Seite haben wir die Onlinekultur, die die Serien als Daten wie im Jahr 2013 üblich in Kategorien, Reputationen, Votes, Likes und Rankinglisten einzustufen und zu sortieren sucht, wie man es halt mit jeder Art von Daten macht. Meh.


    Was mich persönlich zu einem gewissen Problem führt: einerseits habe ich weder das Interesse, noch die technischen Möglichkeiten zum Antesten und Speichern von Massendaten, andererseits möchte ich meine Auswahl an etwa 3 - 4 Animeserien pro Jahr selbst treffen und mir meine Meinung nicht vom Internet und Wertungen anderer Leute vorfiltern lassen. Wie also die wenigen wirklich herausragenden Serien in der Masse finden? Bisher bin ich mit der Taktik, ein wenig nach Gefühl und ein wenig nach kurzen Inhaltsangaben und auch sympathischen Titeln vorzugehen, meistens ganz gut gefahren. Es ist bei der Vielfalt der Genres und Inhalte, die man unter dem großen Dach "Anime" inzwischen vereint findet, vermutlich schwierig, einen gültigen Leitfaden für Qualität zu formulieren.


    Die Aussage "Hat man einen gesehen, hat man alle gesehen..." trifft jedenfalls nur bei oberflächlicher Betrachtung zu. Die Aussage "Nimm halt Serien, die bei diesem und jenem Ranking auf Fansite xyz ganz oben stehen..." genieße ich auch mit Vorsicht. Was also tun? Ich würde sagen, mein persönlicher Leitfaden lautet so, daß sich eine gute Serie in jedem Fall dadurch definiert, daß sie ihren Fokus zuerst auf das Individuum lenkt, und über das Individuum dann ausformuliert, was Natur der Realität, Humanismus und das Gute im Menschen letztlich sind und bedeuten. Und ob man es glaubt, oder nicht, man kann diese Perlen finden. Ein paar Tipps habe ich schon gegeben, AnoHana und Natsume Yuujinchou (alle 4 Staffeln) stehen ganz oben auf der Liste, auch weitere 2 oder 3 Serien fallen mir noch ein.


    Chris